Der ruhenden Rechten am Weinglas aber war es an diesem Tage noch vorbehalten, einer sehr kuriosen Begegnung für würdig befunden zu werden. Ganz plötzlich nämlich, in Höhe des Handgelenks, die Finger sträubten sich fast vor Erstaunen, stolzierte in starker Verkleinerung, wie alle tantrischen Zwerge, mitten über den Tisch der Maler des Bildes, Otto Biesenhacker.
Offenbar war er es gewesen, der vorhin an seine Leinwand geklopft hatte. Sein schwarzer Künstlerhut, man nennt ihn in dieser Größe, glaube ich, Kalabreser, trug auf dem Hutband überdeutlich die eigene Signatur. Ziegelrot schwebte sie über dem weißen Haar und den seitlichen Locken, die man damals in seinen Kreisen „Riesling“ genannt hat.
Natürlich, ich sah es sofort, er war auf der gierigen Pilgerfahrt zu den eigenen fetten Lichtern, den Quellen der Stärkung, der Labsal aus harzig geölten Salben und speckigen Pasten. Auf seinen alten Pinsel gestützt, hinkte er munter nach fetten Blumen, trüben Medien, Runzelrissen im feisten Öl, gebräunt, wenn auch niemals getrocknet. Teller und Löffel klapperten ihm im Gepäck. Auch die Geisterwelt hat so ihre Freuden durch meine Arbeit. Seine Lippen schmatzten vor Sehnsucht. Zweifellos suchte er drüben die fetten Höhen pastoser Lichter, das ferne rosige Lichtfett, den Honigseim unter dem Firnis. Das sind die seltenen Lüste entschlafener Maler, wenn ihnen ein kunstliebender Klosterbruder wie ich einen fröhlichen Ausgang gewährt. Ich glaube, in allen Museen der Welt klettern und tasten die alten Meister über die Bilder, federleicht, unsichtbar, man sieht niemals Schäden, nicht die kleinsten. Der noch einmal entbrannte Geist auf der Leinwand sucht lediglich still die fetten Partien, leckt und schlürft an ihnen herum und erkennt das eigene Werk in traumhafter Freude. Daß Maler auch fremde Bilder genußvoll durchwandern, halte ich durchaus für möglich, denn vermutlich sind Eifersucht oder Ehrgeiz schon lange erloschen.
Natürlich wird kein Museumsdirektor und Restaurator die Pilgerwege dieser geheimen Freuden je wissenschaftlich verfolgt, geschweige denn überhaupt bemerkt haben. Zumal diese Herren inzwischen ja allesamt von Sinn und Wert der „Peinture“ nicht das geringste verstehen. Das sind alles Ideenfresser und Puritaner. Das magere „was“, nicht das „wie“ ist ihre Domäne.
Ich bin übrigens der Meinung, daß die älteren Temperabilder wegen ihrer mageren Härte von solchen Wanderzügen verschont bleiben. Wahrscheinlich scheidet die ganze Gotik für solche Spaziergänger aus und wird von ganz anderen Geistern besetzt. Denn ohne Zweifel erheben sich oft auch hier aus kühlen Steinen und hellem Ocker üppig gesättigte grüne Tafeln von funkelnder Tiefe. Ich nehme aber an, daß gerade die fromme, steinerne Kühle der Bilder ein heimlicher Ort für zirkelschlagende Goldschmiede und berechnende Geldwechsler ist, deren Tischchen an manchen Stellen durchaus zu ahnen wären. Mindestens sollte man meinen, daß Handwerk und Geld versteckte Dämonendiener bewegen könnten, an solchen Orten umher zu schweifen, den Geldbeutel in der Hand.