Paul Mersmann: Schattenstücke l Kleine Theorien und Schattenstücke (7)

Von den Speisen

Von Tatsachen, die aus den Abdeckergruben der wissenschaftlichen Wahrheit wachsen, um ihre kleine wiederbewiesene Sicherheit, das Aas der erstickten Blüten, zum Himmel zu recken, findet sich unter uns keine Spur. Jeder Tag und seine Speise ist uns, den Sekundenerschütterten, Augenblickskönigen ein unmeßbar anderer. Und das „uns“ ist zugleich nur ein „Ich“ von der anderen Seite gesehen, also ein Loch im Boden der Seele.

Da gibt es das Wahre nur plötzlich, ganz blitzhaft, als Aureole und Streifschuß, der eine Idee, ein inneres Bild zum Erleuchten bringt. Es glänzt nur ganz kurz auf den eingefrorenen Wiesen des Asphodelos oder den Wälder aus Drachen, aber ebenso auch über den Weg einer Fliege am Blatt eines Würmchens. Nichts ist unmöglich, aber alles bleibt Augenblick. Und auf „wahres Wissen“ an diesen Ufern des magischen Ernstfalls können wir pfeifen. Gewißheiten gibt es genug inmitten der größten Verblödung der Kollektive. Mit Zahlen lügt sich’s bekanntlich am besten.

Natürlich spreche ich hier von den Speisen des Gral. Auch damals aßen die Ritter keineswegs immer dasselbe, nur die Tinctura Sanctorum, eine gewisse himmelblaue Bouillon, war immer die gleiche, und so gibt es „auf meiner Seite, die hier als die unsrige gilt“, ebenfalls Bäcker und Händler und einen Koch und sogar einen spirituell, die Tiere im Traum persönlich schlachtenden Metzger. Ritter vom Koch, Ritter vom Bäcker, Ritter vom Metzger, gleich den geadelten Namen von Schmidt oder Müller. Also Cavaliere-fornaio, Chevalier-boucher, aber das alles bin selbstverständlich nur ich, und ich bilde zugleich, Person um Person, in falschem Französisch, das „Wir“ und das „Uns“ der Gemeinschaft. Oh, es gibt viele erfundene Speisemeister, sie kochen ebenso Bücher wie Bilder oder vereinigen auf dem Herd erhabene, große Gedanken zu einem köstlichen Brei, Mousse au Chateaubriand avec Gracián oder Soup de Tibre avec Poussin mit umgestoßenen Säulen und Schilf au Veronese aus Monamour, sie berauschen uns köstlich. Manchmal, auf Tellern aus feuchtem Sand von den Ufern des Nils, findet sich auch die geheime grand palme d'Egypte, sie wächst nur im Glanz begrabener Pharaonen, aber dann... aber dann, oh Tränen fließt, in blauer Emaille die gebackenen Himmelsnüsse. Selbst Pharao aß sie nur einmal im Leben.

Das alles sind keinesfalls bloße Symbole, Klassifizierungen einer verschlüsselten Psyche, nein, es sind Schattenworte in einer Schattensprache, Kunst in einer Kunst, innere Dinge des schwarzen Schnees, von dem ich bereits gesprochen habe. Ach Gott, diese vielen Berufe! In unfreiwilliger Komik gibt meine Linke der Rechten die Hand. Da ergreift dann der Koch den Komödianten und wir spalten gemeinsam mit einer Feder des Hahns, der im Suppentopf liegt, eine Anzahl Hennen mit den Schleiern von Nonnen, die herrlich verdreht mit Psalmengesang sich gackernd bedanken. Bis der Hahn sich aufs neue erhebt, um im letzten Feuer des Herdes das Gold des Freiberger Doms mit dem heiligen Blut von Rothenburg zu vermischen. Das alleine ergibt das absolut echte Zinnober, das Sang a la Painture d'Erzgebirge, das jeden Augenblick fähig ist, sich in Jadegold zurück zu verwandeln, wenn ein chinesischer Kaiser sich einmal an einem Drachen vergeht...