Paul Mersmann: Schattenstücke l Kleine Theorien und Schattenstücke (9)

Äußerlichkeiten

Um Bruno Clevenhövers Lebensbild im Licht der folgenden Ereignisse in einen Rahmen zu bringen, es geht ja nur um eine sehr kurze Wegstrecke, sollte durch andere Beobachter, an deren Existenz ich glaube, weniger über das äußere Wachstum des Schattens oder über die darunterliegenden Pflastersteine der Stadt gesagt und geschrieben werden, als über den Gang des jungen Mannes auf diesen schattigen Wegen. Manchmal schien er zu schwanken, manchmal zu tanzen, manchmal ging er gebückt, als wate er mühsam durch einen Sumpf. Auch geht es mir nicht um die mir bisher nur alleine gewährte Kenntnis der neuen luftigen Wohnung nach seiner Flucht aus Wien. Weder Tapeten noch Bett oder Bücher haben mich hier interessiert, sondern... alleine die Lage der Fenster, Ausblick und Richtung und besonders die Hecken eines verwilderten Gartengeländes, einer Zone, einem Streifen, ja im stillen betrachtet, einem Ort höchst persönlicher Bilder und Lichter jenseits des Rheins nach Osten gewandt. Schließlich bleibt ein Seelenblick auf den Ort Berstenrode selbst. Eine Kleinstadt nahe der Oder, noch immer verdunkelt vom Schrecken des zweiten Weltkriegs. Ich erkenne im Dienst meines Reiches: Ist je der dämonische Schuß mitten in den Schmerz eines Landes als unauslöschlicher Schrecken gefallen, dann hier. Hier erneuert sich die Geschichte, hier fand der Adept als erster den Schatten. Das zu wissen ist ein ganz anderer Weg als der seinige. Mein Auge ist das eines Forschers und Kaleidoskopen. Das seinige dringt in den Boden, berechnet vielleicht die „Schwärze des Lichts“ in der Tiefe des Schattens und huldigt ihm. Was mir als ein Weg gilt, ist ihm ein Heiligtum. So will es mir scheinen, daß Clevenhöver nach dem Betreten des „göttlichen Drachens“, für den er den Schatten hält, wohl nicht mehr so leicht „zurück auf die Straße“ gelangen wird. Im Grunde genommen lebt er auf einem Schatten in einem Altar.