Paul Mersmann: Schattenstücke l Kleine Theorien und Schattenstücke (3)

Der Umzug

Das deutsche Zimmer ist seit einigen Tagen wieder bewohnt. Wenigstens darf ich mich als sein neuer Untermieter betrachten, der zwar mit den früheren großen Mietern nicht ganz zu vergleichen ist, aber immerhin, unter den Leuten, die man sonst seinesgleichen nennt, nicht mehr wohnen muß.

Für eine bestimmte Zeit bin ich ganz unmerklich im schwarzen Schnee vergangener Werke untergegangen, hinabgefahren bis in eine von mir als verlassene Landschaft entdeckte Gegend. Und dabei, ich gebe es gerne zu, nicht ganz allein auf den eigenen, sondern auch den angelesenen Gedanken ferner Meister sitzend, wie auf einem Schlitten.

Die Erde ist eben nicht nur von Luft umgeben, sondern auch von Schatten durchsetzt, von schwebenden dunklen Dingen. Ich glaube an schwarzen Staub, so etwas wie trockenen Schnee. Es sind herbstlich herabgefallene Ideen, die von nächtlichen Landwirten meiner Art erneut zum Wachstum gebracht werden sollen. Die Erscheinungen fallen herab, bilden einen Schatten und lassen ein Wachstum aufkommen, das Schattensträucher genannt werden könnte.

Solche Pflanzen tauchen von Zeit zu Zeit, wenn man trübe Zeiten erlebt, als Heckengeschöpfe des Schutzes auf, hinter denen sich jeder Adept von einigen Graden verstecken kann. Manch einer pflanzt sie um, okuliert und verbessert sie, bis es Urwälder werden, und so entstehen die Riesenromane von Dickens oder Cervantes, Proust oder Tolstoi. Allerdings haben sie solche Ursachen entweder niemals begriffen oder nie zugegeben. Von anderen, etwa meinen eigenen abseitig schweifenden Blättern, glaube ich, daß es immer wieder Forscher geben wird, die solche Gebilde studieren und ordnen, um sie möglicherweise doch noch der Weltenchronik hinzuzufügen. Sie schweben vermutlich als kleine, aneinander gekettete Geisterkörper, nach meiner Meinung etwa wie Kränze an grauen Segeln, jenseits des uns geläufigen Himmels und bilden dort Ehrenhöfe für die Opfer der vergeblichen Zwischenzustände, zu denen ich mich zu rechnen habe.

Man befrage zu solchen Riesenentfernungen besser die Gnosis oder die Dichtung der alten Inder und sogar die eintönig schwebenden Hirtengesänge der alten Seldschuken, wobei auch die Kelten, die nie etwas schrieben, sehr genau wußten, wohin die ganz rätselhaften Gedanken zu fliegen hätten. Sie sollen sogar mit Mispelzweigen nach ihnen geschlagen haben, bis sie „den höchsten denkbaren Ausweg suchten“. Eine meiner längeren Arbeiten habe ich daraufhin vor einigen Tagen buchstäblich durchgepeitscht, ob sie deswegen aber gleich „ins große Unendliche“ entkommen ist, kann ich nicht sagen. Papierfetzen sind genug zurückgeblieben.