Paul Mersmann: Schattenstücke l Kleine Theorien und Schattenstücke (6)

Über die Erstbesteigung des tabuisierten Hitlerberges

Ich will es, ungeachtet des boshaften Nebels, immer wieder versuchen, und rutschte ich tausendmal ab, den mit viel pharisäischen Ölen schlüpfrig begossenen Hitlerberg zu erklettern. Ich will und muß über ihn weg, ich will ihm nicht ausweichen.

Will man je noch einmal zum Heil seiner alten europäischen Sprache das Schicksal Europas schöpferisch tief erfassen, so muß man an Ort und Stelle über ihn weg. Vor ihm liegen zu bleiben, beschämt und erdrückt von all den Tabus der Steinzeit, das hieße für immer hinter dem Kreuz des Erlösers herum zu liegen und, wie ein spanisches Sprichwort sagt, in Nachbarschaft mit dem Teufel zu jammern, denn: Detras de la Crux está el Diablo. Wir liegen längst ebenfalls hinter dem Kreuz.

Dunkelheit spielt eine große und fruchtbare Rolle auf diesen gebirgigen Höhen, die gleichzeitig Löcher sind, jedenfalls von der anderen Seite gesehen. Höhlen und Tiefen der immerwährenden Zukunft. (Hier Berge, dort Höhlen.) Denn so steht es mit dem dämonischen Reich, das man Welt nennt. Aber wie soll man das alles schildern, wenn nur der Tod uns darin belehren kann? Wir sind im Grunde bloß ahnungsvoll-neugierige Vortote und dieser Zustand verlangt bedeutende Übungen im angewandten Nichtwissen. (Watteaus abgewandte Rückenansichten und der Blick der deutschen Romantik sind Träger bedeutender Beispiele.)

Jede Mahlzeit ist nur so frisch wie der Geist des Essenden selbst, ob er in Feierlichkeit bei Tische von anderen gesehen sein will wie damals beim Abendmahl, das hier manchmal nachgestellt wird, oder im Schrecken des Nichts, wie die Goten einst am Busento. Die Idee stammt vom Grafen Platen, der hier manchmal lateinische Lieder singt. (Die Goten sollen nach Funibertus, ihrem schreibenden Bannerträger, so erklärt es uns Platen, nur noch zwei Kälber und drei Säcke Pferdebohnen besessen haben, und das nach der Umleitung eines so bedeutenden Flusses, von Hunger ermattet.)

Ob einer nun lebt oder nicht, niemand weiß das in mir so genau. Wir kennen einander ja nicht im üblichen Sinne, und wider die Logik gesagt: die erhärtete Ahnung ist hier bereits die neue Gewißheit in schönster Erscheinung.