Paul Mersmann: Schattenstücke l Graganz (1)

Graganz


An einem Morgen, der nur eine leere, von beiden Gelehrten gefürchtete Farbe der unbestimmten Versunkenheit in kaum zu fassende Gedanken oder deren Trümmerfelder zu bieten hatte, obwohl von draußen kein rächender Ausdruck des Lichtes den Geist bestrafen wollte, denn es war trübe und warm, was beide eigentlich liebten, entschlossen sie sich, Graganz aufzusuchen.

Sie ergriffen Hefte und Zettel der neulich von Halliman mitgebrachten Literatur, suchten noch einmal auf einer alten Karte aus den Zeiten des Aufklärers Joseph II. nach ebenso alten Wegen und Steigen und kletterten innerlich noch immer stark verdunkelt in den alten Geländewagen Hallimans, um damit wenigstens bis an den Rand des Gebirges zu kommen. Da nicht nur sie, sondern der ganze Tag keinen Glanz besaß, sprachen sie wenig. Das Licht nahm am Mittag sogar noch ab und sie sahen einander, wie es sonst nur selten geschah, mit fremden Augen an und die sonst so vertraute Spannung auf das Land, seine Geschichte, seine vermuteten Geister, die sie beide doch stets zu wittern glaubten, stellte sich selbst noch nicht ein, als das erwartete Dorfschild Lamerskraft am Ansatz der ersten Berge zu erkennen war.

Wege waren hier schwer zu finden, schwerer als in anderen Landesteilen, aber das wussten sie und erwarteten es nicht anders. Auch das im Dunst auftauchende Nörmenschockstein war für beide heute kein lustiges oder komisches Wort. Es stand auf einem kleinen Brett und sie konnten über den seltsamen Namen nicht einmal lächeln. Von hier aus, Halliman glaubt den Weg zu kennen, führte der von ihm schon lange erwartete Steg nach Graganz, obwohl kein Weiler dieses Namens siehtbar wurde. Jetzt blieb ihnen Nörmenschockstein ein letzter Begriff von ahnungsvoller Bedeutung, so als könnten von hier aus Steine erschreckt und Winde gedämpft werden. Sie dachten beide daran, ohne darüber zu sprechen. Kalt war es nicht, kein Windzug machte sich unangenehm bemerkbar und die Jacken auf ihren Rucksäcken hingen wie Felle gejagter Tiere faltenreich und vieldeutig an ihnen herunter. Wer weiß, dachte sich Englschall, wie das goldene Vlies nach den ersten Stunden des Raubes den Argonauten erschienen ist. Vielleicht mochte ja auch das nach der Schändung des heiligen Ortes zur ersten Natur zurückgekehrte Fell zu stinken begonnen haben.