Paul Mersmann: Schattenstücke l Graganz (2)

Ohne es sich zu gestehen, fürchteten beide das gleiche, nämlich keinesfalls an, oder vor dem Gebirge zu sein, sonden mitten darin, in einer gewaltigen Grotte, und das bereits nachdem sie das Auto verlassen hatten. Sie wagten auch nicht, trotz einiger Ermattung, sich hinzusetzen und die alte Karte zu lesen, teils weil sie fest daran glaubten, auf dem rechten Wege zu sein, teils aber auch, weil es ihnen so vorkam, als ob es nach Nörmenschockstein gar kein anderes kartographisch vermerktes Lebenszeichen mehr geben werde. Alles schien richtig, aber nichts wirklich treffend. Deutlich zu sehen war auch nicht viel, weder hohe Berge noch Tiefen und von irgend einer ebenso gebirgigen Ferne konnte kaum noch die Rede sein. Dabei zeigte sich, nachdem sie wieder zehn Minuten gelaufen waren, in der höheren Nähe zwischen Gestrüpp und Laub doch endlich die erwartete Mauer von beträchtlicher Ausdehnung. Das war zweifellos die erste Mauer der Burg von Graganz.

Zwar mußte immer noch späte Mittagszeit sein, aber nichts erinnerte sie daran. Alles war viel weniger als sonst von irgend einer Spannung der höchsten Sonnenkräfte erfüllt, das wenige Licht wirkte kraftlos, entschlafen, auch das Gras am Boden war matt. Es schien zurückgeblieben, innerlich langsam geworden, wenn nicht gar wie im Wachstum stehen geblieben zu sein. Das lag auch daran, dass trotz der Höhe kein Lufthauch ging. Sie waren doch kaum eine Stunde gelaufen und doch erschien ihnen alles wie an einem verfrühten Abend. Die Zeit zog sich anders hin und war in den Gliedern oder dem Kopf nicht so messbar zu spüren wie sonst.

Jeder von ihnen besaß aus unterschiedlichen Erbschaften eine vorzügliche Glashüttenuhr, aber keiner wäre auf den Gedanken gekommen, sie an den alten prächtige Ketten, sie hatten sie oft miteinander verglichen, hervorzuziehen. In dieser Stimmung verhüllter Zustände öffnet man in einer immer fremder erscheinenden Landschaft keine Uhren, sie hätten nur den geheimen Schrecken erhöht.