Paul Mersmann: Schattenstücke l Graganz (4)

Man schritt weiter, und durchaus der Straße nach durch einen riesigen Ziegenstall mit zweifellos gestohlenen Säulen, einen leeren Hühnerhof und an allerlei rostigen Ackergeräten vorbei. Halliman konnte sich trotz der lähmend eindrucksvollen Umgebung keinesfalls an all diese schmutzigen Gänge und Höfe erinnern, obwohl doch nur wenigeTage vergangen waren, seit er an der oberen Mauer entlang bis zur Burg gelaufen war. Irgendwo weiter zurück musste der andere Weg begonnen haben. Auch von dem großen Eingang mit Schild und Klingel, den er benutzt hatte, war hier bisher nichts zu sehen. Die beiden Türen, kaum zur Hälfte geöffnet, machten nicht gerade den Eindruck beweglich zu sein, und die Frau wollte man nicht erst befragen.

Man stieg die bemooste Steintreppe hinauf, und tatsächlich fand sich keine der verrosteten Türen beweglich. Sie drängten sich schließlich hindurch und standen vor einer verwilderten Wiese mit gelben und blauen Blumen. Auch fanden sich weitverstreut die weißen Sterne einer bescheidenen Spezies. »Bettsecherle« sagte Engelschall und wies dabei auf den Weg, der von der rechten Seite heraufführte und besonders von diesen Blüten umsäumt war. Vom Klostergebäude war ausser einer neuerlichen Mauer und roten Dachspitzen nichts zu sehen. Allerdings zeigte sich über den Dächern immerhin ein vergoldeter Wetterhahn. In diesem Augenblick sahen sie, nicht weit von den Türen entfernt, im Schatten eines Mauervorsprungs einen Menschen. Er stand ohne große Bewegungen, gleichsam lautlos und still, einen Stab mit einem kleinen Wimpel in der Hand. Er winkte ihnen wie ein Kranker mit der kaum erhobenen Linken müde zu und beide winkten zurück.

Der Mann mit dem Wimpel, der keine Anstalten machte, ihnen entgegenzukommen, war ein alter Invalide. Gewickelt in einen Jägermantel aus grauem Stoff, besaß er nur ein einziges dürres, von einer verrutschten Gamasche umwickeltes Bein, die Fahne war zugleich sein Stütze. »Sehr wohl«, sagte der Mann für sich, »sie sind da...«, und nach einer kleinen Pause, »wenn auch an der falschesten Stelle«. Er schwang sich mit einem unerwarteten Hüpfer geschickt um die Fahnenstange herum und erst jetzt erkannten die beiden das Fähnchen genauer. Es war auf der einen Seite aus gelbem Stoff mit verschiedenen Mustern. Vor allem zeigte sich auch die Devise, das Zeichen eines Wurmes, der aus einem Apfel, aus dem er sich herausgenagt hatte, aufstieg.

Der Einbeinige sah ihre Blicke und sagte »Das ist der Lebensweg« ..... und nach einer Weile: »Lebensweg nach der Trennung von den Sternen. Das sagt der Komtur.« »Ein wenig Stefan George«, flüsterte Englschall munter und stieß mit der Schulter seinem Freund in den Rücken.

Der Alte schien nichts gehört zu haben.