Paul Mersmann: Schattenstücke l Kleine Theorien und Schattenstücke (5-2)

Übrigens muß ich zugeben, den jungen Adepten schließlich doch einmal in leiblicher Gestalt, wenn auch nur kurz, gesehen zu haben. Lange vor meinem Eintritt in dieses Zimmer hat das allmächtig vorbereitende Schicksal ihn mir bei Regen auf der Treppe des großen Wiener Museums gezeigt. Ich sah ihn im Schatten seiner tief herab gezogenen Mütze, mit blassem Gesicht eine Gurke essen. Wie ich deutlich erkennen konnte, schien sie sehr sauer, aber er aß sie doch, und zwar so, als habe ihn das Urteil eines Gottes dazu verpflichtet. Sein Blick war voll dunkel entschlossener Glut, der beleidigte Mund nur ein ganz klein wenig verzogen, als wäre er von Velasquez gemalt. Ich ahnte sofort seine hohe Abkunft aus den Niederlanden der Spanier und seine angeborene Nähe zum katholischen Wahnsinn des echten Surrealismus.

Was sich damals auf der verregneten Treppe in aller Einfachheit zutrug, war ein echtes Mysterium, denn trotz meiner beschlagenen Brille war der Anblick aufs tiefste bedeutend, ja Gedanken erweckend und sogar herzergreifend, und Gurken habe ich nach diesem Anblick auch nie wieder essen können.

So wie er mir damals zufällig, ohne Berechnung und Absicht, begegnet ist, kann einem ein heiliger Mann oder ein Weiser, wie Lao-tse es so treffend bemerkt hat, entweder nie oder an der nächsten Ecke begegnen. Soviel jedenfalls steht fest, mit dem, was ich damals noch blind empfand, werde ich niemals zu Ende kommen, so schwierig, so gegen den Strich erscheint mir der unvergeßliche Eindruck. Obwohl er damals natürlich noch gar kein richtiger Weiser gewesen sein kann, er war noch Student und eben nur ganz übermenschlich naiv..... Parzivalisch naiv, bis zur Haltung des Dornausziehers, wie Kleist ihn, seltsam genug, taoistisch beschrieben hat.

Der junge Adept steht nicht nur in einer anderen Weltenlogik für eine künstlich verfaßte Geschichte, sondern auch im Umriß einer, ich sage es mit Vergnügen, anderen Art der Religion, nämlich der Kühnheit eines deutschen Buddhismus.

Ich muß wohl damals in längst vergessene Seiten der Sprache und Dinge gelangt sein, weil die deutsche Schuld, das Gift einer steinzeitlich angezündeten Weltenhölle, alle Regeln des abendländischen Ausgleichs beschädigt hat. Hier darf niemand mehr etwas ahnen, um es später zu wissen. Hier wird nur noch gewußt. Alle Vorstufen und alle Entwicklungen sind ausgeschaltet. Da rutscht man von selbst in die neue erlösende Tiefe einer künstlichen Unwissenheit und darüber bin ich erschütterungsfähig geworden bis zum Zerfall und schließlich zum Kaleidoskopen zweiten Grades emporgestiegen.