Paul Mersmann: Schattenstücke l Kleine Theorien und Schattenstücke (7-5)

Ich komme hier an die erste Schilderung dieses Schattens, den der junge Mann vom Fenster seines Zimmers in Berstenrode in so großer Erregung entdeckt hat. Das Ding war ihm in einem Brief an Englschall „ein dunkelseitiger, schwarz umsäumter, wohlgeneigter, wohl geeigneter deutscher Stoff, in naher Verwandtschaft zu den Hoffnungen älterer Schriften bis weit über Hölderlin in die doppelt gesteppte Reichs- und Reihenfinsternis Fischarts“. Dazu will nun auch ich hinzufügen, daß „wir“, die durchschüttelten Hochvertrauten und Verborgenen, lange ohne Kenntnis dieser mächtigen Schattenerscheinung auf unseren Straßen geblieben sind.

Durch die Entdeckung von Berstenrode bin ich ganz plötzlich, ganz unversehens und kaleidoskopisch genug, auf die neue mondkalte Spur im Abdruck uralter Worte gestoßen. Sie hat sich über Straßen und Landschaften gelegt, um die bisherige Heilsformel von der dumm gewordenen, photographischen Wirklichkeit endgültig in Frage zu stellen.

Und nun erscheint über unserem Bethlehem ein solcher Schatten, die Wiedergeburt der Nacht, ohne Beteiligung der gefährlichen Sonne. Allerdings auch ohne ein Zeichen der Sterne, nichts als Buchstaben und ferne Sätze an meiner Zimmerdecke, sie begleiten sein Wesen auf unseren Straßen. Etwa so, wie das berühmte „Alles in einem“.

Anderswo unter den vielen Suchern in der Wüste der Buchstaben gibt es wahrscheinlich niemanden, selbst wenn er es ahnen könnte, der den Mut besäße, mit einem solchen Eindruck im Kopf, wie ich ihn heute besitze, aufzutreten. Was für ein Schatten! Mein Gott, was ist das bloß für ein Schatten, was für ein neues Sfumato am Rande der Sprache.

Bei aller Kühnheit, jenseits der Grenzen des notorisch Gemiedenen entwickelt sich nichts in dieser Schrift, wie man annehmen sollte, so en passant, bloß durch Willkür der Phantasie, oder zeigt sich unversehens im Lack eines schwarzen Glanzes der Dichtung, weil alle Kunst am Ende dämonisch begünstigt sei. Nein, so einfach sind die Früchte des Geisterreichs, selbst durch kühne Vertiefung in die Willkür der Sprache, nicht zu erringen. Alles, was hier gezeigt und beweglich vorgestellt wird, bleibt immer noch schwierig genug, mit oder ohne dämonische Hilfe.