Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [71]

Der Abschied vom Glauben an Elementarbausteine des Denkens und der Kunst hat den Konstruktivismus nicht zum Verschwinden gebracht. Sie hat ihm, ganz im Gegenteil, neue Möglichkeiten eröffnet. Angesichts der Unmöglichkeit, einen stetigen Fortgang von den ersten bis zu den letzten Elementen der ›geistigen Welt‹ zu konstruieren, nimmt die Versuchung überhand, Denken und Kunst als entwerfende Tätigkeiten zu betrachten, denen keine sinn- und normgebende Instanz, keine Wirklichkeit gegenübersteht. Was soeben noch Welt hieß, zersplittert in eine irreduzible Vielfalt künstlicher Welten. Aus der Sicht des perspektivistisch und relativistisch gewendeten Konstruktivismus hat die Kunst also frei, zu tun und zu lassen, was sie will – eine ebenso banale wie tückische Konsequenz, die dem einzelnen Künstler im Grunde nur eine Bürde lässt, nämlich die, sich durchzusetzen. Kunst ist, was sich auf dem Markt der Entwürfe behauptet. Im Bereich der von Bourdieu so genannten ›legitimen‹ Kunst, der Kunst, die dem Parterre der Dilettantismen entronnen ist und sich im Glanz der Anerkennung durch die kulturellen Institutionen sonnt, bleibt dabei die stete Sorge um die Aufgabe spürbar, das konstruktivistische Credo sichtbar darzustellen, das heißt eine sich selbst und dem Betrachter durchsichtige Kunst zu präsentieren. In der Praxis entstehen daraus jene mit Theorien, die niemanden interessieren, wie mit Preisschildern behängten Kunstwerke, über die bereits Proust spottete, während nebenan die Einfälle roh verzehrt werden.