Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [13]

Transfer


Wenn man frei ist, ist die Freiheit weg.
Thomas Körner

Vielleicht hätte der angehende Künstler wie andere privilegierte oder nichtprivilegierte Altersgenossen außer Landes gehen müssen, um sich der Kunst an Orten anzuschließen, an denen sie in den Jahren nach dem Krieg anzutreffen war. Vielleicht hätte er dort die Erfahrung gemacht, die der Wiederaufbau zwar birgt, aber eine Zeitlang hindurch auch verbirgt: dass hinter den Stellwänden der Restitution die Produkte (ebenso wie die Mittel, sie hervorzubringen) rascher abfließen als in die Schaufenster gelangen. Der Aufbruch gen Westen, hastig und unkonzentriert inszeniert, bringt seine Stars hervor wie jede Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. Gefragt sind keine Leute, die die Kunst suchen, eher Verpackungskünstler, die, lange vor den Christos, die Frage beantworten müssen, durch welche Art von Unkenntlichmachung das Objekt der Begierde seinen künftigen Liebhabern teuer gemacht werden könnte. Auch andere praktische Fragen harren einer Antwort wie die, was bleibt und an den Tourismus und einen neuartigen Museumsbetrieb verscherbelt wird, in dem monochromer Kulturanspruch und buntes Amüsement unverbunden nebeneinander stehen. Die ausgesprochen zweideutige Frage nach dem, was geht, ist vielleicht nur vordergründig die bedeutendere, auch wenn an ihr Existenzen hängen. Vieles bleibt jedenfalls zurück. Picassos halb ernst‑, halb schalkhafte Bemerkung, er müsse seine Bilder so entwerfen, dass ein Tapezierer in New York sie nach seinen telefonischen Angaben ausführen könne, impliziert, dass man selbst zurückbleibt. Das gilt für die Person, es gilt fürs Wissen und Können, es gilt für das Wissen hinter dem Wissen, das man die Macht der Tradition nennt und das in erster Linie darin begründet ist, dass jede Absicht und jede Erwägung in der Kunst einbezogen bleibt in Zusammenhänge, die gerade nicht ›zur Diskussion‹ und damit zur Disposition stehen. Dieses Umschlossensein der Kunst, die doch soeben entsteht und das Neuartige der Gegenwart zur Ausstellungsgröße erhebt, ist in allen Werken der sogenannten klassischen Moderne spürbar. Es verflüchtigt sich rasch in der grellmatten, scharfrandigen Reprise, die mit den Programmen Ernst macht. Nicht, als ob letzterer nicht immer vorhanden gewesen wäre. Doch der kindische Ernst der Kunst, den Händen erwachsener, dem Entsetzen knapp entronnener Männer anvertraut, in denen eine versteckte Repetitionsmaschine alles auf Feindschaft, Kampf, Gier, Verstellung und Überleben stellt, auf die Lust, das Ganze im Frieden, unter Bedingungen der Selbstentfaltung, noch einmal durchzuspielen, verzehrt sich selbst, er tendiert zur Idiotie. Nicht umsonst erinnern Auseinandersetzungen wie die um die Abstraktion an gewisse symbolische Schlachten des Zweiten Weltkriegs, in denen der ideologische Feind ein für alle Mal und um jeden Preis gestellt und vernichtet werden sollte. In den ästhetischen Kämpfen des Nachkriegs tanzen die Schlichtheit der Konzepte und die Unnachgiebigkeit, mit der sie durchgesetzt werden, den Pas de deux der sinnreich halbierten Vernunft, zu dem die Dialektik der Aufklärung den halbwegs selbst involvierten kritischen Kommentar liefert.