Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [12]

Offenbar hat erst die unvermutete Gleichgültigkeit der Ideologen, der radikale Bedeutungsschwund der im Begriff der Moderne kodifizierten Künste nach dem ideologischen und praktischen Ruin des Realsozialismus denen, die es angeht, die Augen dafür geöffnet, wie sehr diese zweite oder – wenn man den Einschnitt des Ersten Weltkriegs ernst nimmt – dritte Moderne von der abstrakten Opposition gelebt hat, gehätschelt, benützt, verwöhnt und verhöhnt von Leuten, die um jeden Preis mitreden, die um keinen Preis dabeigewesen sein wollten und ein für alle Mal beschlossen hatten, auf der richtigen Seite zu stehen. Was sich für eine kurze Spanne postmodern nannte, war weniger ein Erwachen aus dem Traum der Vernunft als ein Gewahrwerden der Belanglosigkeit der fixierten Oppositionen, des allenthalben vollzogenen stillschweigenden Auszugs aus einer mit Interpretationen des Bruchs gepflasterten Konstellation. Die beschrieene Vernunft hat mit dieser Konstellation wenig zu tun. Sie konnte nur deswegen in Verruf geraten, weil der Auszug aus Europa einer Art von radikaler Weichenstellung bedurfte. Das letzte oder vorletzte Europa, das seine Mittel umschichtet, um sie an neuen Orten gewinnbringend anzulegen, ist nicht identisch mit dem Westen, in dem es sich notorisch erkennt. Noch weniger identisch ist es mit dem Kontinent der Vernunft, die dort, wo sie von Amts wegen ausgerufen wird, mit Leidenschaft diffundiert. Lebendig ist ein Denken nur, wo es die Verwalter der Bestände herausfordert. Die große Investition Nietzsches, von deren Zinsen die Literaten und Künstler des Jahrhunderts gelebt haben, macht sich diesen Mechanismus, so weit es geht, bereits zunutze – so weit es gutgeht, denn jeder Angriff auf die Vernunft lockt zwanghaft die real existierende Unvernunft, Mersmanns »petit raison« des schlecht Gedachten, des nicht zu Ende Gedachten, des hundertfach Widerlegten hervor, das sich so gern mit dem Bedürfnis der Menschen zusammentut, weiter zu kommen und es sich endlich gut gehen zu lassen.