Der Schock, unversehens einem Werk gegenüberzutreten, das sowohl der äußeren wie der inneren Dimension nach ein halbes Jahrhundert umfasst, in dem man nebeneinander her existiert hat, ohne Kenntnis, dass so etwas nebenan entsteht, dass es entstehen konnte, ohne dass man die Möglichkeit dazu ins Auge gefasst hätte, mag einem, der dabeisteht und schon einmal vorsorglich nach der Uhr schaut, als müßig, als Erfüllung des Müßiggangs schlechthin erscheinen. Viele Wesen existieren nebeneinander in Zeit und Raum, das Meiste des Wenigen, das sich davon mitteilt, macht sich auf so indirekte Weise bemerkbar, dass es im Hintergrundrauschen untergeht. Damit diese Zeit, dieser Raum, in dem dies da existiert, als meine empfunden und, wer weiß, erkannt werden, ist mehr nötig als das vage Bewusstsein, es mit einem zeitgenössischen Werk zu tun zu haben. Ich sehe im Guggenheim-Museum eine Clemente-Retrospektive und bin frappiert über die Koinzidenz der Lebensdaten. Aber ebenso erstaunt und erschreckt mich der innere Abstand, der diese zu Leben und Werk geronnene Arbeit von meiner trennt. Ein, zwei Jahre später entdecke ich Mersmanns 1960 gemalten Römischen Traum. Er schlägt ein ›wie ein Blitz‹ und verbrennt eine Trennwand, von der ich bislang nicht wusste, dass es sie gab. Ist es möglich, dass ich in einem vor fast fünfzig Jahren gemalten Bild ich meine Spanne Dasein erkenne? Dabei könnte man sein Sujet ›traditionell‹ nennen: ein Pseudo-Christus, frontal gesehen, der Kopf, eigenartig deformiert, schimmert in einem giftigen Grün, Brust und Bauchhöhle stehen offen und entblößen eine Reihe von inneren Organen, die Hobbyarbeiten eines plastischen Chirurgen sein könnten. Neben der Figur entdeckt der unstet irrende Blick ein Fleischgehänge, das entfernt einem Handschuh ähnelt.