Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [78]

Mersmanns Erläuterungen zu diesem Bild sind völlig überzeugend und wunderlich in einem. Sie durchqueren es, reichern es an mit Gesehenem und Gemeintem, aber in der Grundfrage bleiben sie stumm. Diese Stummheit teilen sie mit dem Bild, das nicht Text ist und nicht Faktur, sondern schwebender Raum, sich aus der Fläche herausdrehendes und auffächerndes Bestiarium der Phantasie. Ein Boot zieht seine Bahn, die Bugwelle zeigt es an; dass es nicht von der Stelle kommt, erklärt sich nur zum Teil dadurch, dass es gemalt ist. Es ist so gemalt, dass es aussieht, als ob es nicht von der Stelle kommt, obwohl es sich in voller Fahrt befindet, ein emblematisches Boot, ein Sinnbild. Auf dem Boot sitzen, dicht gedrängt, die Vögel. Ihre neugierig gereckten Hälse, ihre geduldige Ungeduld weisen sie als Mitglieder einer Expedition aus, die sich dem Ziel nahe wähnen, wogegen der Betrachter nichts sieht, was als Ziel ernsthaft in Frage käme. Auch scheint ihm das Pathos der Überfahrt nicht gerechtfertigt, da eine zweite Uferlinie zum Greifen nahe liegt und die Bahn des Bootes säumt. Allerdings erhebt sich vor dem Gefährt und seiner Fracht eine Art Empfangskommitee: grün geschuppte, vogelköpfige Schlangenwesen, die eher freundlich verhaltene Erwartung ausstrahlen als Abwehr oder gar Feindseligkeit. Ob sie das Boot erwarten oder Ereignisse, die noch außerhalb des Horizonts liegen, bleibt unentschieden. Sie werden das Eindringen nicht verhindern, das bevorstehende so wenig wie ein anderes, soviel ist gewiss; woraus allerdings diese Gewissheit sich speist, bleibt ungewiss wie manches andere auch. Warum hält der in den Markstein gemeißelte, antikisierende Wächterkopf die Augen geschlossen? Möchte er die herannahende Gefahr nicht sehen? Ist das Gehör in dem Fall das verlässlichere Organ? Ist der Wächter entschlafen und das friedliche Konterfei eines Toten erwartet den feindlichen Rammstoß?