Die ›radikale Transformation‹ der Kunst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bleibt, wie jedes Faktum, grenzenlos ausdeutbar. Insofern sind die Lehren, die man ein Jahrhundert lang aus ihr zieht, beliebig und beliebig applizierbar. Ebenso ist die Rede von der ›neuen Kunst‹ von Anfang an tautologisch oder paradox. Jede Kunst ist neu und alt, jeder scheinbare und wirkliche Bruch mit Kontinuitäten stellt neue her und lässt alle Anknüpfungen offen. Das wird so lange vom Lebensgefühl verdeckt, bis das Gefühl aufgebraucht ist oder sich verflüchtigt. Sie enthält aber ein Angebot an alle, die bisher keine Zeit hatten, sich mit Kunst zu befassen – eine Abkürzung, eine Art Trampelpfad in die Zukunft, der jedermann offen steht, sobald die Verbotszäune fallen. Dieser in der Frühphase seiner Karriere von den Literaten eifrig porträtierte, ebenso übergriffige wie anstellige Jedermann, der den älteren ›Spießer‹ mühelos aussticht, braucht die neue Kunst, die ihm etwas sagt, weil sie ihm nichts sagt, die ihm nichts sagt, weil sie ihm etwas sagt, weil er darin etwas aussagen kann, was wesentlich außerhalb der Kunst steht und immer außerhalb der Kunst stehen wird: dass es wichtig ist zu leben, dass Leben unhintergehbar ist, dass Kunst Leben ist, ein Sich-Ausdrücken, ein Sich-Ausspritzen, ein Sich-Ausagieren, ein Mittel, nicht, um das Dasein zu gestalten, sondern um seine Übermacht zu bezeugen. Denn davon ist Jedermann vor jeder politischen Überzeugung, die es braucht, um voranzukommen, überzeugt: Dasein ist schwer, eine hoffnungslose Überanstrengung für den Einzelnen, der Entlastung sucht und in der Übereinkunft der Besserwissenden findet, dass dagegen sein muss, wer mit allen Fasern dafür sein will. Für was? Für das Fortkommen, das, menschheitlich projiziert, dem Einzelnen ein Auskommen sichert. In diesem kollektiven Fortkommen liegt ein Sich-Scheren, ein Sich-Davonmachen, das selten beachtet wird. So wird die Kunst ›politisch‹. Es ist ihre Weise, sich zu trollen, ohne aufzugeben.