Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [87]

Kunst ist immer ›auf lange Sicht‹. Man könnte meinen, sie habe Zeit, aber so liegen die Dinge nicht. Die Zeit, welche die ihre ist und sie wie ein flüssiges Medium umgibt, bewahrt sie nicht zwingend vor den zerstörerischen Folgen der Gleichgültigkeit und der Brachialgewalt der Konzepte. Auch das gehört zu den Wirkungen, die in der Kunst bedacht werden müssen. Kulturverlust verstört, die Aussicht auf Präsentation des Immergleichen nicht minder. Noch einmal lesen wir Mersmann:

»Die tragenden Häupter beugen sich und verwalten zugleich große Geheimnisse der Übernatur, die der Sprache den Nebel des Denkens spenden. Eine gewisse Maskerade der Begriffe führt den Geist zu den Zwischenreichen des lebendigen Nebels, der die Geometrie der Begriffe, die den Anfang gebildet haben, auslöscht.«

Und er lässt einen gewissen Stupidus von Creta hinzufügen:

»Die Ewigkeit kennt weder Wille noch Absicht noch eine göttliche Begierde. Alles wünschen wir selber, daher ist die Form wichtiger als die unerreichbare Wahrheit.«

Vermutlich spricht so der Weise. Der Interpret tritt einen Schritt zurück und formuliert anders: Begriffe können nur durch Begriffe begrenzt werden, Kunst nur durch Kunst. Jeder Versuch, die Grenze zwischen der Welt der Begriffe und derjenigen der Bilder zu fixieren, scheint so aporetisch zu verlaufen wie der, die Grenze zwischen den Funktionen des physikalischen Gehirns und denen des Bewusstseins zu bestimmen. In beiden Fällen gelingt es leichter, sich mit einem asymmetrischen Parallelismus abzufinden, als den Übergang selbst zu denken. Was in Begriffen denkbar, was in der Kunst möglich ist, geht nur zusammen, solange sich beide noch in den Kinderschuhen befinden. Erwachsen, wie sie nun einmal sind, finden sie eher punktuell zueinander – in jenem famosen Als-ob zweifelsfrei erwiesener Wirkungen, das schon die Vertreter intakter Weltbilder schreckte.