DER TRAGENDE GRUND
Untersucht man den ›tragenden Grund‹ der Geburt, so stößt man auf eine gedrängte Abbreviatur europäischer Zustände, die vom Hellenismus bis in die Gegenwart reicht. Abbreviaturen sind auch die tabellarischen Abrisse, anhand derer man Geschichte memoriert, und etwas vom Geist der alten Gedächtniskunst wird in diesem wie in den benachbarten Bildern lebendig. Zum Abruf kommen aber keine historischen Abläufe, sondern Imagines, wie sie die Seele beschäftigen, vorausgesetzt, man nennt dergleichen sein eigen und nicht allein eine mit frühkindlichen Zuständen und Beziehungskrisen zugestellte Psyche. Sie zeigen, durch hunderterlei Wahrnehmung geschärft und in den Schatten gestellt, Facetten der Kultur. Sie alle nähren sich an der überlieferten Kunst – gespeist durch museale Präsenz, durch den tausendfach bestätigten Objektcharakter der Werke, traumwandlerisch erzeugt in jedem einzelnen zur Kultur hin sich öffnenden Bewusstsein. Auch museale Präsenz ist Gegenwart. Diese Inseln des Vergangenen ergänzen nicht nur, sie tragen das sich komplett dünkende präsentische Bewusstsein, das von alledem vielleicht nichts weiß oder sich durch energische Schnitte davon zu lösen versucht, um sich schließlich mit einer Großmutterbrosche oder einem anonymen Maskenimitat zu begnügen: die Bilder des durch die Zeitläufe abhanden Gekommenen, des abwesend Anwesenden, gehen nicht weg, sie erneuern sich beim Passieren der unscheinbaren Schwellen, die jede Gegenwart bereithält. Die Sehlust sieht sie ins Gemalte hinein und aus ihm heraus. Ein einfaches, komplexes Beispiel ist der Wächterkopf:
Man kennt solche steinernen Boten, in allen Ländern Europas stößt man auf sie, sie markieren die geschichtliche Weite einer Landschaft, eines Kulturraums im Bewusstsein von Leuten, die achtlos, aber nicht völlig unvertraut mit den Gegebenheiten, an ihnen vorübergehen. Wo, auf der anderen Seite, die Geschichte sich verkürzt, wo sie übergeht in die Elementarzone zwischen der gewöhnlich verborgenen und der offenen Gegenwart, bringt die Malerei Bilder des Niegesehenen bei, wie man sie aus den sprichwörtlichen Visionen eines Hieronymus Bosch oder William Blake kennt. Der gestrandete Flügelfisch etwa ist