DER TRAGENDE STROM
Die retrograde Bewegung der Kunst wird von Mersmann ausgiebig erläutert. Die »winterliche« Szenerie des Vordergrundes, deren »kalte und klare Dunkelheit [...] die hier denkbaren Auftritte« schärft und das schöpferische Gedächtnis stimuliert, gleicht dem Entstehungsort des Neuen im Betrachter.
Die Rede vom tragenden Strom lässt, vielleicht zufällig, an Rilkes zehnte Elegie denken, in der es über die Freude heißt: »Bei den Menschen / ist sie ein tragender Strom.« Dass die Bilder die Freude mit sich führen, dass gerade darin das Geheimnis ihrer Unerschöpflichkeit liegen könnte, ist ebenso naheliegend wie die Zerstörung der Kunst durch das über ihre Vergangenheit verhängte Tabu. Eine Kunst, deren Ursprünge sich nicht in diverse Vergangenheiten auffächern, sondern auf einen Punkt fixiert sind, ist per se freud- und kraftlos. Man kann, was hier Freude heißt, auch Wirkung nennen, man kann die Freude zugunsten der Wirkung ›bannen‹ – jedenfalls im Bewusstsein der Zeitgenossen –, aber man sollte wissen, dass man einen mechanischen Begriff an die Stelle von einem setzt, der auf Lebensvorgänge zielt. Die ruhige und unerschöpfliche Freude an ästhetischen Gegenständen, gleich weit entfernt von jener ›irrsinnigen‹ Freude, die einer empfindet, der gerade im Lotto gewonnen hat, wie vom projektiven Spaß des Museumsbesuchers, der sich unauffällig nach den rückwärtigen Lokalitäten umschaut, ist nur zusammen mit der Erkenntnisfunktion zu denken. Sie entspricht dem freien Spiel der Erkenntniskräfte bei Kant, das zweckfrei allein deshalb genannt wird, weil es sich seine Zwecke durch keine Instanz vorgeben lässt, nicht aber, weil es keine Zwecke kennen oder anerkennen würde. Gebunden wird das Spiel durch die historische Phantasie, die sich durch die Bilder vergangener Zustände in kommende versetzt sieht, was nicht mehr und nicht weniger heißt, als der Wirklichkeit in statu nascendi, im Zustand der Emergenz zu begegnen.