Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [53]

Steht im ausgeführten Teil von Kafkas Naturtheater von Oklahoma die Rekrutierung des Personals im Zentrum, so in Mersmanns Zirkus (1986) die Rekrutierung der Landschaft. »Der Betrachter blickt in die Vorzustände einer landschaftlichen Bühne, keinesfalls in ein Theater.« Das ›eigentliche Stück‹ wird im einen wie im anderen Fall nicht gegeben, ohne dass sich sagen ließe, es falle aus; schon das wäre ein Datum zuviel, eine Gewissheit, die sich verbietet. Der Maler, der sich einst in den Trümmern Chiricos bewegte, um hier und da einen Fund zu tätigen, lässt Manna regnen. Heraus kommt das künstliche, vielleicht auch nur scheinbare Durcheinander einer Kunst, die auf sich warten lässt, die noch übt, eine, die noch nicht ganz bei sich selbst ist. Was entstünde, wenn sie ganz bei sich selbst wäre, wenn sie ihre Figuren ›könnte‹, wie Rilke das nannte, bleibt ungewiss, es bleibt ausgeblendet. Die filmische Metapher bietet den Vorteil, die verschwiegene Leerstelle zu bezeichnen, ohne den Vorgang zu werten. Die Szene kennt keinen fruchtbaren Moment, kein sinnvoll arragiertes Geschehen, bei dem aus den Proben das Stück hervortritt wie die Göttin aus der immerwährenden Brandung. Dieses Stück wird nicht gegeben. Mehr als jeder Theatergast kommt die Landschaft im Bild als Zuschauer in Betracht: die ›Scene‹ ist offen in alle Richtungen. Das schließt die Zeit ein, die vergeht, ohne zu vergehen. Es schließt die Abwesenheit eines menschlichen Personals ein, das ausgespart bleibt, nicht ausgeblendet. Währenddessen beherrschen ein indischer Gott und ein Tanzbär die Szene. Auch sie proben, sie sind gemalt, um zu üben, damit, um es etwas barock zu formulieren, Übung sei, um den freundlichen Übergang von einer Erwartung zur nächsten nicht zu unterbrechen. Jedenfalls stellt es sich so dar, wenn man der Leseanweisung des Malers folgt. Das ist nicht zwingend. Derselbe Maler schreibt: »Das wahre Bild wird gebacken und nicht geschrieben.« Das ›gebackene‹ Bild lässt den Betrachter etwas sehen, was der Text verschweigt und was der etwas ältere Begriff des Tohuwabohus umschreibt. Gott‑ wie Tierfigur entsteigen einem ursprünglichen Durcheinander, in das kein anderes Licht dringt als das vergoldende Licht des Theaters oder die fahle Helle des Tages, der nicht gemeint ist.