Paul Mersmann: Kunst und Raub [5]

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Betrachten wir doch die Liste der falschen Gewißheiten, das ungeschriebene Gesetzbuch der kleinen Vernunft. Es gibt eine klärende und trennende Macht der Begriffe. Einige erscheinen uns heute nicht notwendig, weil sie sich über das Beweisbare erheben, andere unterliegen langen Prozessen der Entwicklung, die nur durch die Einheit einer Kultur zu erkennen sind. Sie werden ohne Kultur zu Phrasen und Mitteln der Täuschung. Jeder versteht sie anders. Der traditionslose Mensch ohne Achtung vor Wissen und Schicksal der Alten, neunmalklug aufgeblasen vom Zeitgeist, wird sichtbar lebensgefährlich. Er versteht alles falsch und will alles verbessern. Die lange Geschichte der Sprache, ihre prägenden Formen und Bilder, die jeden Gedanken klären, säubern und filtern, ist ihm unbekannt. Denn alles vor ihm war schlecht. Er, der Barbar, kann sich weder das nächste Haus, ein Profil an der Tür, noch den Schmuck eines Torbogens erklären. Er kann nicht ein einziges Wort, nichts selber Gedachtes auch nur im Vergleich bis Goethe verfolgen, sein Gehirn ist voll von Protest und aufgeblasenem Anspruch. Er chaotisiert in einem vermeintlich internationalen Bedürfnis des Fleisches, verblasen und jenseits vom Boden, auf dem er steht. Davila hat gesagt, der Verlust jeder Tradition muß mit Strömen von Blut bezahlt werden. Wir haben schon jetzt Chaoten genug, mit denen kein Auskommen sein wird.