Paul Mersmann: Die Nachtwachen des Bonaventura. Nachwort [1]

Die Nachtwachen des Bonaventura
Nachwort


Dieses frühe Werk eines bunten deutschen Prophetentums wird von staunendem Zweifel umgeben bleiben, solange es in den Bücherschränken zu finden sein wird. Ein gewisser Schatten seiner anfänglichen Verhüllung ist auch jetzt durch Klingemanns Namen nicht eigentlich aufgehoben. Eine genialische Einsamkeit schwebt weiter über diesem Werk, das kalt über alle metaphysischen und biologischen Hoffnungen hinweg das Theaterwesen menschlicher Täuschung verkündet. Kein Hinweis über das menschliche Schicksal hinaus wird aufgeboten, um die Nachterfahrungen dieses Wanderers in den Straßen einer deutschen Kleinstadt zu mildern. Es fehlen die Krümmungen ebensowohl der Religion wie der Philosophie, die später in Nietzsches Zarathustra und der ewigen Wiederkehr des Gleichen schillernd verkündet werden. An unserem Werk einer bunteren und handgreiflicheren Skepsis würde auch Nietzsche zum Narren.

Es ist ein verwirrendes Skizzenbuch voller Unbotmäßigkeiten und im Sinne von Kleist oder Grabbe aus vielen Teilen der ungelösten, sehr deutsch anmutenden Lebensfragen zusammengesetzt, zugleich gedankenbelastet und ohne viel Absicht auf Eleganz. Es bietet, anders als sonst in Europa, eine Kunst im farbigen Lumpengewand verzweifelter Illusionen, voll von verspotteten Werten. Jeder ästhetisch versöhnliche Glanz wird im Unheil wiederkehrender Täuschungen als Theater und Mummenschanz wahrgenommen. Der Trost durch die Kunst ist hier nur von kurzer Dauer und selbst die Tragödie gilt als versteckte Burleske.

Dergleichen Hintergründe sind illustrativ kaum darzustellen und so gelangt man zum »Bildermachen« im Sinne des alten deutschen Holzschnitts, also eher zur Karikatur als zur abstrakten Deutung. Diese tief deutschen, eigentlich sogar kunstfeindlichen Ansichten halbwegs anschaulich zu treffen, wäre vielleicht nur im Sinne alchimistischer Zeichnungen mit Zirkelschlägen und dunklen lateinischen Deutungen möglich. In Fällen der Theologie hat sich bereits die Gotik nicht anders als durch Spruchbänder zu helfen gewusst.

Die eigentümliche Denkverwandtschaft aus den Wurzeln der Genesis eines irrsinnigen Gottes und seiner Apokalypse ließ mich während der Illustrationen immer wieder an Zarathustra denken, das zweite Theaterspiel deutscher Lästerungen. Aber bei Bonaventura herrscht denn doch eine andere Folge von Schicksalsgrotesken, die viel näher dem Leben und selbst dem Lachen sind, als es jener prophetische Halbgott auf hohen Kothurnen verkündigen konnte.

Es zeigt sich im Zarathustra trotz der verwandten Chaosvermutungen Nietzsches der pathetische Ton eines Aufklärungsepos im Gewande des Jugendstils, und allzu deutlich im Namen seines Verfassers die bedenkliche Verkündigung eines neuen persischen Menschensohnes. In Nietzsches Wahnbriefen kommt dergleichen ja auch ans Licht.

Zwar leben beide Werke trotz ihres zeitlichen Abstandes vom Grundzweifel eines deutsch-protestantischen Streites um Gott, aber Bonaventuras Gott, die romantische Puppe einer Volksbühne, ist darüber zum milden Geisteskranken geworden.

Wenn Nietzsche den Gott ins Jenseits befördert, so wird er doch bloß in sein klassisches Gottesgebiet nach Hause zurückgeschickt. Er bleibt uns nicht neu oder anders gemalt als Ursprungsbildnis des Geistes erhalten. Nietzsche tut so, als läge nun endlich auch Gott auf dem Friedhof in Röcken neben seinem Vater begraben. Wirklich gestorben ist aber doch kein jemals beschworener Gott, hier lese man Hölderlin. Ein philosophisch erzeugter Buddha in persischer Kostümierung sucht einen neuen Menschen und bleibt dabei ohne die Idee einer Schöpfungsgeschichte letzten Endes ein sibyllinischer Sozialist.