Paul Mersmann: Kunst und Raub [1]

Kunst und Raub


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Der folgenschwere Anschluß der Kunst an die abstrakte Geometrie stiftete keineswegs eine große Anzahl neuer Motive, sondern begann sogleich mit Einschränkungen und Dogmen. Es ist nicht übertrieben, in dieser Entwicklung die puritanische Kapitulation eines Kreises aufgeklärter Künstler zu sehen, die sich anschickten, auf ihre Weise den Anschluß an die positiv gestimmte, allumfassende Verwissenschaftlichung des Daseins zu suchen. Man könnte sogar hinzufügen, daß sie möglicherweise ein drohendes Schicksal van Goghs gefürchtet haben, von allen Bindungen an den Zeitgeist verlassen, einsam mit der Palette der alten Natur gegenüberzustehen. Der alten Natur, von der jeder ahnt, daß er sie endgültig verlassen hat, und deren Göttlichkeit uns mit schlechtem Gewissen verfolgt und ergreift. Die Versprechungen der Wissenschaft reichten den Künstlern aus, die neue Flucht aus der zweiten Natur zu begründen. Man wich aus vor den Leiden der Intuition, man suchte die Ordnung der Fläche ohne Belastung durch die phantastischen Kämpfe mit erfundenen Paradiesen, Dämonen, Schatten und Licht. Daß nur aus dieser Auseinandersetzung die Neugestaltung des Sichtbaren, das menschliche Land des Lebens und Überlebens, die WIRKLICHKEIT, immer aufs neue entstehen muß, wurde verdrängt. Die Wissenschaft stiftet Tatsachen am laufenden Band. Aus welcher Wirklichkeit, wird nicht gefragt. Es ist die Historie der Stoffe, in Teile zerlegt und neu zusammengesetzt. Es sind immer Collagen, von Zukunft kann nicht die Rede sein. Kultur ist nicht Sache der Forschung, man muß sie erfinden.