Paul Mersmann: Kunst und Raub [2]

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Was in dieser Hinsicht in Murnau geschehen ist, wurde bisher weder gesucht noch vermutet. Gewisse Kreise der Kunst mögen das rembrandtisierende Elend leid gewesen sein. Die Flucht aus dem großen Handwerk hatte dies mit sich gebracht. Gott als Vater der Intuition war seit Nietzsches Verkündigung tot. Auch das muß man ernst nehmen. Man suchte die »absolute« Malerei als Entlastung von allem Prophetentum und gab sich bei ungeheuren Verlusten sachlich. Chiricos »ritorno al mestiere« ist nur so, als vergeblicher Ausruf der Verzweiflung, zu begreifen. Man wollte im weißen Kittel des Fortschritts Analyse, Experiment und Zirkel. Daß mit Hilfe des Bauhauses zugleich die sinnlose Ästhetisierung wissenschaftlicher Formeln versucht worden ist, ließ die Wissenschaft ihrerseits notgedrungen kalt. Die für sie zwar ehrenvolle Steigerung ihres Ansehens konnte ihr selbst keinen neuen Blick für die Kunst eröffnen. Die Zeiten der Alchimie waren lange zu Ende. So geriet die Kunst in den Sog der technischen Dekoration. Die nackte Gestalt der geistlosen Ratio wurde ein »Stil« und das einst beschwörende Ornament verjagt, die Brücken zu den Gärten der spirituellen Hoffnung beschädigt und für baufällig erklärt und der herrliche Park der Kunst ein bloßes Museum mit der Tendenz, die Meisterwerke in Kellern verschwinden zu lassen. Offiziell gibt es hier nichts mehr zu lernen. So geriet die am Ende gestrandete Kunst als noch immer vergoldete Leiche, gewohnheitsgemäß mit Ehrfurcht betrachtet, in die Hände der Macher, die sich zwar des alten Rufes der Kunst bedienten, aber offen jede Beziehung zu ihr verleugneten. Die neue Kunst, gesellschaftlich immer noch professoral im Stil des verachteten neunzehnten Jahrhunderts, eröffnete die Collagenfabrik der ganz naiv für natürlich gehaltenen Wirklichkeit. Sie wurde ein scheinwissenschaftliches Begleitprogramm zur Förderung einer reduzierten Dienstleistungsästhetik. Mit der Fläche, die nun als bloße Unterlage für Formeln keine Bedeutung besitzt, wurde der Bildraum verschlossen, damit kein sinnlicher Gegenstand in der Tiefe des künstlichen Raumes Wurzeln schlage. Einmaligkeit könnte den Betrachter in der Rolle des Aktivisten aufhalten, die Welt zu besetzen. Vor der Serie bleibt der Mensch in der Eile der Kollektive. Bloß nicht stehenbleiben. So starten und landen auf imaginären Flächen Bruchstücke und Trümmer des ikonographisch ertasteten Intellekts gleichsam in Gestikulation und Zungenreden des Pinsels.