Paul Mersmann: Die Bilder (8)

Das Symbolhafte dieses Streifens erweckt Gedanken an Pilger und an Verse von Stefan George. Auch dieses Gebiet ist alt geworden. Es ist ein Reich, auf das bisher keine Lehren gepasst haben, von wie vielen es auch schon beeindruckt sein mag. Traurig daran ist, dass es auf diese Weise so etwas wie Greisenhaftigkeit angenommen hat, ohne zu einer wahren Würde berechtigt zu sein. Man könnte von der Würde eines grauhaarig gewordenen Dummkopfs sprechen, am Ende wäre auch das eigene Vaterland denkbar.

Über dem Kopf dieser weiblichen Gestalt, die ebenso Priesterin sein könnte wie Sängerin, zerbrechen Teile eines Tempelgebälks und entfernen sich durch die Luft. Die Wärme des Gebäudes flieht unter dramatischen Umständen aus der Kälte dieses Gebietes. Die Hoffnung verkündende Geste der Frau hat etwas Heroisches. Erfahrung will uns inzwischen lehren, es sei aber schon wieder etwas vergessen worden, wir müssten schon bald eine neue unberechtigte Würde in dem grauen Magen der alten Nation verdauen und es würde uns auch nicht wohler.

So haben wir auf dem ganzen Bild etwas Europäisches, das in seinen Umrissen auch nur mit einem kleinen Wechsel von Beziehungen spielt. Ein Bild kann nur logisch sein in seinen eigenen Elementen, dafür ist es so wahr, wie die wahre Wahrheit in ihren Teilen wäre, würde man sie nicht immer zu einem Ganzen glätten und aus ihren Bildern heben, als müssten diese Bilder etwas Zusätzliches werden, eben ›Geschichte‹.

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Vollständig abgedruckt in: Steffen Dietzsch / Renate Solbach, Paul Mersmann – Diffusion der Moderne, Heidelberg (Manutius) 2008, S. 177-184. Der Text stammt von 1982.

Paul Mersmann: Die Geburt der Moderne (1982)