Omar Akbar: Gedanken zur Stadt [3]

Gleichsam ist festzustellen, dass wir uns weltweit in Richtung einer endgültigen Verstädterung bewegen. Dieser Prozess lässt die ruralen Wirtschafts‑ und Lebensformen mehr und mehr hinter sich und integriert sie in urbane Zusammenhänge. Andererseits entsteht an vielen Orten ein Gemisch von urbanen, ruralen und globalen Produktions‑ und Lebensweisen, die sich überlagern, ergänzen und trennen. Das urbane Bild, das durch den bürgerlichen Anspruch codiert war, verflüssigt sich zunehmend. Gleichzeitigkeiten unvereinbarter Dinge entstehen. Die Begegnungen unter Fremden – ein Spezifikum der Stadt – basieren nun auf vielfältigen kulturell bedingten Regularien, die Harmonien, Überlagerungen, Differenzen und Widerspenstigkeiten erzeugen. Formelle und informelle Ökonomien ergänzen sich und entziehen sich dem Bändigungsversuch nationaler und internationaler Instanzen. Eine global geprägte Subversivität breitet sich wie eine Folie über die urbanen Agglomerationen. Chaos, Fragmentierung, Abschottung, Hektik, Schmutz, Elend, Ignoranz, Kriminalität, Korruption werden übertüncht durch unkoordinierte Intervalle gesellschaftlicher und physischer Interventionen. In diesen Städten bleiben in der Regel nur die heiligen und dem Tourismus gewidmeten Orte verschont, ansonsten scheint jegliche physische Veränderung möglich zu sein. Die baulich-räumliche Ordnung der Stadt, die als Quelle historischer Referenz diente, verlor dort ihre Relevanz, wo Wachstumsdruck, welcher Art auch immer, so groß war, dass ihre Anlage und die Sehnsucht nach Wirtlichkeit irrelevant geworden sind. Wäre der geographische Ort mit seinen Eigensinnigkeiten nicht, so ähnelten sich die Städte mehr und mehr. Nicht aus der Singularität ihrer Geschichte werden ihre Gestaltung und Atmosphäre konstituiert, sondern durch Kahlschlag und modische Anpassung. Materialisiert durch Kopien architektonischer Trends. Während in Ländern mit außer-europäischen Traditionen die Vielzahl der Megastädte mit über 15 Mio Einwohner entsteht und eigensinnige urbane Atmosphären erzeugt – versuchen die großen Metropolen europäischer Traditionen einen Balanceakt: das europäische Stadtbild als Quelle der Identität zu bewahren und zugleich die Stadt für globale Anforderungen zu öffnen. Dass dieses Unterfangen an manchen Orten zum architektonischen Treppenwitz verkommen kann, zeigen Paris, London, Berlin und eine Vielzahl anderer Städte. Altstädte werden saniert, Implantate realisiert, nach neuen Slogans gesucht und wie im alten Rom jagen sich die banalsten »Events«. Die 24-Stunden-Stadt ist das Ziel. Zugleich entstehen Schein‑ und Multikultiwelten mit extremer ideologischer Verpackung, denn die allgegenwärtige politische Korrektheit verdrängt die notwendigen Debatten zu Fragen der Zivilisation, Kultur und Differenz. Die Folge sind Freiräume für andere religiös-traditionelle Gewohnheiten und Forderungen, die schwer mit den Werten der europäischen Urbanität zu vereinbaren sind. Dieser schleichende Prozess wird die Anmutung der europäischen Stadt und ihre sozio-kulturelle Atmosphäre zusehends und nachhaltig prägen. Globales Mitspielen hat zur Folge, dass die eigenen Werte relativ werden und andere Forderungen im urbanem Kontext zu integrieren sind. Eigentlich ein altbekanntes Thema, denn die Genese der Stadt ist der Austausch mit anderen Städten. Und genau dieser Umstand erzwingt Anpassung. Wer Kooperationen ermöglichen will, muss die lokalen Bedingungen lockern.