Jeden Monat neu aufgelegt, strotzten dickleibige Veranstaltungsprogramme der Ruhr 2010-GmbH vor Anglizismen, suggerierten Wirgefühle und versprachen eine nie dagewesene Alchemie der Gefühle: Metaxa & metexis am Abend mit Goldrand, feurige Stahlabstiche und die Twilight-Kunstlichtshow im Hafen der Kulturhauptstadt. Feierabende, an denen die Goldene Sieben in Spielhallen aufleuchtete, der Mariacron-Stern über dem Tresen. Und so ging tatsächlich jeden Tag für die Liebhaber der Television in der Börse der quadratische Horizont auf. Es fiel das angekündigte, das entscheidende Tor und die Freunde der Kulturhauptstadt&Fußballweltmeisterschaft vereinten sich. Kulturen&Nationen. In der Arena der Geschichte wurde The day of songs zelebriert! Alles gab es per se und für lau noch oben drauf: Manzonis eisgekühlter Mittelstürmer, Klarer mit Speck aus dem Hieronymus Bosch-Kühlschrank Garten der Lüste. Und Poetische Nächte auf der Halde, da kam nämlich der Steiger und erzählte Grubenmärchen gegen den Kohldampf. Vom Gläsernen Hut mit Mercedesstern obendrauf, von der Brücke der Solidarität und so.
Night&day lief die Kulturmaschine Ruhr 2010 GmbH auf Hochtouren. Respekt. Himmelstürmende Lichtprojektionen auf alten Rathausmauern und Feuermusiker am Werk illuminierten den Flug des Feuervogels. Ja, es hat ihn gegeben, den Himmel aus glühendem Stahl, sie, die Götterdämmerung, in der Gebläsehalle. Ja, der von Herrn Krupp-Beitz gesponserte Neubau des Museum Folkwang steht seit langem, wie `ne Eins, in Essen. Der im Volksmund so genannte “Schuhkarton”, der Dachaufbau für das Museum Küppersmühle in Duisburg, Kosten mit Nachbesserung 20 - 40 Millionen, ist in der Mache. Ebenso das Zwei-drei-Straßen-Projekt von Jochen Gerz. Idee&Realisierung muten wie das Haus ohne Hüter an, wie so viele der medial aufgeblasenen Ruhr 2010-Kunstprojekte. Ob die von Gerz für 2011 angekündigte Print-Dokumentation des Wohn‑ u. Interaktionsprojektes ihr Wirklichkeitsversprechen einlösen wird? Schon in den Siebzigern, “einst vor Jahren, zur Zeit der Allerseelenstürme” hatte Aktionskünstler HA Schult anläßlich seiner TOUR-de-RUHR eine gleichgeartete Livingroom-Kunstmitmach-Idee artbissiger und weniger artig im Kohlenpott realisiert. Ja, damals kochte Max von de Grün Literatur im Pott und Ruhrkomiker lösten immer noch Smokealarm aus.
Kulturhauptstadtschlagzeilen und Aufsehen erregte der Auftritt der Duisburger Symphoniker, die in leerstehenden Wohnungen sogenannter “Stadtteile mit sozial-kulturellem Erneuerungsbedarf” ohne Kohle so überzeugend musizierten, dass die Zuhörer glaubten, die Auflösung der hochsubventionierten Symphoniker stünde bevor; zumindest die Streichung der Streicher.
Der drastische Kulturabbau im Namen der Kultur, das Streichkonzert der Einsparungen mit Zensureffekt, war schon 2009 über die Bühne gegangen. Den schätzungsweise 50.000 im Ruhrgebiet lebenden Kreativen der Freien Kulturszene verweigerte die Ruhr 2010 GmbH die Teilhabe an der Kulturhauptstadt, das Mitsprache‑ und Selbstvertretungsrecht. Schon im Jahr 2007 waren zweitausend Kreative blauäugig der Aufforderung der Ruhr 2010 GmbH gefolgt und hatten Projektideen zur Kulturhauptstadt eingereicht, nicht ahnend, dass alle Fördermittel längst verplant waren und pro forma nur zwei Dutzend kleinere Projekte einen Kulturcent erhalten würden. Im Herbst 2009 folgte dann der finale Schachzug der NRW-Regierung.