Kurt Röttgers: Wasser, speziell bei Ute Gozzoni und Michel Serres [Vorbemerkung]

 

Wasser, speziell bei Ute Gozzoni und Michel Serres

Wasser, speziell bei Ute Gozzoni und Michel Serres

Von Klaus Theweleit haben wir seinerzeit gelernt, dem Wasser zu mißtrauen, nicht unberechtigt. Aus Goethes Gedicht „Der Fischer“[ 1 ] wird in diesem Sinne vom Volksmund meist nur das eine Zeilenpaar zitiert „Halb zog sie ihn, halb sank er hin | und ward nicht mehr gesehen.“

Goethe: Der Fischer
Goethe: Der Fischer

Und sie – das ist „ein feuchtes Weib“, das dem Wasser entstieg. In der Reduzierung auf diese zwei Zeilen wird unterschlagen, daß dieses Weib dem Fischer vorwirft, daß er die Fische aus dem Wasser hervorlockt, wo es für sie so „wohlig“ gewesen sei, hinein in die „Todesgluth“. Dieses hartnäckig reduzierende Zitieren der Verführungskraft des Weiblichen und Wasserhaften fügt sich ein in eine Reihe von Bildern, die die Notwendigkeit der Bändigung dieser flüssig-amorphen Weiblichkeit durch formgebende Männlichkeit suggerieren, aus der hier lediglich auf de la Motte Fouqués „Undine“ verwiesen sei, in der die Quellnymphe Undine zur braven Hausfrau umgeformt wird, oder wie Monika Schmitz-Emans gesagt hat: „… Undine wird und soll durch ihre Heirat eine Seele bekommen. Die Nixe verwandelt sich tatsächlich mit der Heirat in eine beseelte, liebevolle und fromme Frau.“[ 2 ] Jemandem eine Seele machen heißt hier und anderswo, ihn oder sie zu unterwerfen. Das Formlose, Amorphe, zuweilen Idyllische, zumeist aber bedrohlich Mitreißende, oft Ozeanisch-Gewaltige des Wassers fordert den männlichen Formgebungswillen heraus.

In den Wasserkraft-Maschinen wie Wassermühlen und –Turbinen, sowie Dampfmaschinen hat diese Bändigung temporäre Gestalt gewonnen, temporär – nämlich, solange der Staudamm nicht bricht und der Dampfkessel[ 3 ] nicht explodiert.

Formgebung
Formgebung

Dem Fließen eine Gestalt zu geben, es bändigen zu wollen, ist ein paradoxes Unternehmen. Schon die Begradigung von Flüssen, um das Ausufern einzudämmen, erzeugt den gegenteiligen Effekt, weil die Begradigung in Dämmen die Fließgeschwindigkeit erhöht und damit den Druck auf die Dämme, zugleich aber auch die Sedimentierung im verschmalten Flußbett erhöht, so daß auch die Dämme immer höher angelegt werden müssen und sich damit so allmählich das Flußbett mitsamt der Dämme weit über das Niveau der Umgebung erhöht und sich damit die Gefahr der Überschwemmung, falls die Dämme einmal brechen sollten, enorm erhöht hat.

Dammbruch
Dammbruch

In den alten Schlemmlandkulturen hatte man sich gerade auf diese Überflutung eingelassen und sie als heilsam und fruchtbar zu nutzen gewußt.

Der Verdacht gegen die Gestaltlosigkeit des Fließens des Wassers hat ein Seitenstück in unser aller Abscheu vor dem Wasser, als wir noch Kinder waren. All unser Schreien des Protestes, als wir getauft wurden, hat nichts genützt. Unsere Erzieher haben uns gegen unseren unmißverständlich ausgedrückten Unwillen und Widerstand angewöhnt, uns täglich zu waschen, uns die Zähne zu putzen und am Ende sogar als „Seepferdchen“ so zu tun, als wäre das Wasser unser ureigenstes Element.[ 4 ]

Seepferdchen
Seepferdchen

Selbstverständlich können wir sogar tauchen lernen, aber nur wenn wir für eine kurze Zeitspanne auf den Lebensodem, das Pneuma oder den Spiritus, der uns beseelt und belebt, verzichten. Und wenn wir uns in einer ausweglosen Situation befinden, sprechen wir weiter davon, daß uns das Wasser bis zum Halse steht. Dabei hatten wir uns doch so bemüht zu vergessen, daß wir anfangs durch das Fruchtwasser paddelten.

Im Jahre 2010 wurde ein neues Menschenrecht erfunden, nämlich das „Menschenrecht auf Wasser“. Dabei gibt es Wasser genug, man möchte sagen: zu viel, besteht doch die Oberfläche des Planeten, der Erde genannt wird, nur zu 30% aus Erde, aber zu 70% aus Wasser, Tendenz steigend durch die Erderwärmung.

Die Erde
Die „Erde“

Außerdem wissen wir seit 1915 durch die Untersuchungen von Alfred Wegener, daß auch das scheinbar Feste der Erde schwimmend bewegt ist und zuweilen Seebeben und Erdbeben hervorruft. Auch wenn das Wasser das vorherrschende Element ist, ist es doch auch nicht das be-herrschende der Erde, nach jeder Flut hat sich noch das Wasser zurückgezogen, es oszilliert – wie die Bewegung im Labyrinth – zwischen Nähe und Ferne und definiert so eine Uferzone, in der sich Land und Meer berühren und überlagern.[ 5 ] Bedrohlich wird das Meer durch seine Unberechenbarkeit; denn das Flüssige, sein Fließen, entzieht sich allen Fest-Legungen, es tendiert zu Vermischungen und Vermengungen. Das Wasser ist wegen der Unmöglichkeit von Festlegungen das Element der Unordnung.

Wasserfall
Wasserfall

Den Rheinfall von Schaffhausen kann man nicht in eine geordnete Folge von Tropfenstürzen ordnen oder auch nur abbilden wollen; nicht einmal der Weg eines einzelnen Tropfens läßt sich darstellen oder prognostizieren, geschweige denn eine Darstellung des Gestaltwandels des Rheinfalls von einem Moment zum anderen anbieten. So erklärt sich unser großes Interesse daran, solche Unordnung wenigstens begrenzt einzusperren, in Badewannen, Wasseruhren und Aquarien, oder zwischen Deiche und Dämme, oder aber umgekehrt Inseln der Ordnung im Meer der Unordnung des Pluriversums zu schaffen. Panta rhei – das ist gewiß übertrieben, wie alle Allsätze. Aber in der Tat: vieles fließt, und wir versuchen unentwegt, Ordnung zu schaffen.

Stille
Stille

Manchmal erscheinen uns Gewässer auch still und unbewegt: die seichten Tümpel und die tiefen Maare; scheinbar braucht es des Anstoßes eines starken Windes, um diese in Unruhe zu versetzen. Genau genommen, unterliegen freilich auch diese Seen den Gezeiten, nur sind sie so minimal und durch die Bewegungen, die der Wind hervorruft, überlagert.

Im folgenden möchte ich nicht weiter über das Wasser im Allgemeinen reden, sondern meine Beobachtungen zum Wasser den Lektüren zweier Beobachter des Wassers folgen lassen: Ute Guzzoni und Michel Serres, mit einem kleinen Ausflug zur Quelle bei Jacques Derrida.

 

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