GRABBEAUMUSEUM IM NETZ  Gang rot »
Paul Mersmann

Das wenig bekannte Auge des Mondes




Als der Maler Wyrsching Schonhauer in seinem Tractat zum unheimlichen Blendwerk der Künsteley Harsdörffer vorwarf, »der dunklen Trefflichkeit zur Bekleidung der Leinewand durch Farwe und Teuffels Abbild ...« nicht ernsthaft gedacht zu haben, wird man in dieser Bemerkung den ersten bekanntgewordenen Hinweis jenseits des Idealismus von Schönheit, Natur und ihrer Nachbildung in Gottes Namen erkennen müssen, der auch der dunklen Seite der Kunst, fast an der Seite der Blumen des Bösen und Bosch, eine Art Ehrenrettung stiftet. »Wellet die Mahler ihrer Kunst nicht überall Ausweg und Sprach eröffnen, so ersterbet gar wohl der Feuergeist aus dem donum des Prometheus der in ihnen stekket, dieweil nit alle der Zunft in Gottes Willen und der Natur ihr Auskommen finden wellen.«
Dieser Gedanke ist, als das kleine Werk bereits 1653 in Wien bei Maximilian Englschall Söhne, weit genug von Nürnberg entfernt, auf dem Büchermarkt auftaucht, vollkommen neu. In der dritten Metaphernkammer Rudolphs II. in Prag fand sich bei der Auflösung der »geheimpten sublimationes« durch seinen streng katholischen Nachfolger Matthias ein von kaiserlicher Hand beschriebenes lateinisches Manuskript mit Hinweisen zu theologischen Fragen, die eine Gedankenfreiheit und Kühnheit bezeugen, die man bei der sonst so introvertierten Verfassung Rudolphs gar nicht erwarten sollte. So fragt er auf Seite zwei des zerlesenen Exemplars: »hic fratibus arte spiriti...«, was denn den Künstler bewogen habe, in solcher Weise dem Herrn dieser Welt Devotion zu erweisen. Es geht an dieser Stelle um die Abkunft der »Materia oder wahren Historia« aller damals bekannten Farben, die Schonhauer der Reihe nach aufzählt, und, da sie zumeist der Erde oder gebrannt dem Feuer entstammen, als des Teufels Gastgeschenke an die »ausschweifende Phantasia der forchtlosen unter den Dienern der edlen Malkunst« bezeichnet. Der Farbfabrikant Polidorio Schminke soll den Welterfolg seines Unternehmens der sorgfältigen Analyse dieser Liste, die sieben Grund- und neun Nebenfarben umfasst, verdanken.
Zum Kunstverständigen Discurs, von der edlen Mahlerey, von Georg Philipp Harsdörffer
Nürnberg 1652

Versuch einer außerwissenschaftlichen Rezension

Erste Sendung
Zweite Sendung
Dritte Sendung
Vierte Sendung
Fünfte Sendung

Bildmotive:
Paul Mersmann, Villa Glücklich
Aufnahmen Doro Breger
Fries (1)

Paul Mersmann: Fries (2)
Rudolph hat das auf die Titelseite des Büchleins gedruckte, aber sonst wenig bekannte Zeichen des Teufels mit einem Fragezeichen und dem Wort »warump« versehen. Es handelt sich dabei um das Auge des Mondes im Siebengestirn. Der letzte Besitzer dieses Buches, Paulus Homomaris III. da Luni hat dieses Zeichen folgendermaßen gedeutet:
»Das Auge des Mondes gilt nach Ansicht der Chaldäer den eigentlich schwachsichtigen Blicken der träumend fragenden Poesie vor der Nacht der Gestirne, denn die Welt selber gehört den Adleraugen der Geschäftsleute und deren Dienerschaft. Im Siebengestirn aber wird die Zahl entrückt und vergöttlicht zugleich und so den Künsten der Astrologie zum Spiel übertassen, auf dass sie die abergläubischen Geschäftsleute täuschen mögen. Hier wird das Gestirn zum Ideal einer künftigen Mathematik, die kommen muss, ehe man die Welt gänzlich und falsch, vermeintlich korrekt, verrechnet hat.«
Wie wichtig auch dem Kaiser die Liste der dämonisch gedeuteten Farben war, ersieht man aus Meldorfs, des Sekretarius, Äußerungen gegenüber seinem Schwiegersohn, dem Maler Spranger. In Wahrheit sei alles Streben des Kaisers, statt wie 1609 im neuen Majestätsbrief vorgetäuscht, gar nicht ernsthaft auf die Religionsfreiheit der Böhmischen Stände gerichtet gewesen, hinter dem dort so geheimnisvoll auftauchenden Begriff »utraquistisch« verberge sich vielmehr die neue Böhmische Farbfreiheit, die der Kaiser den Künstlern Böhmens versprochen habe. Sie ist dann aber wohl weniger in Böhmen als im calvinistischen Holland so bedeutend zur Auswirkung gelangt.

Man muss dazu wissen, dass in einem langen Prozess religiöser Bestimmungen der unterschiedliche Gebrauch der Farben nicht nur die Darstellung heiliger Gegenstände betraf, sondern auch die Farben und ihre Beimischungen – Temperafarbe, als von der sonnenhaften, ja österlichen Bedeutung der Hühnereier hergeleitet, entsprach der frommen Bedeutung der Altar- und Kirchenmalerei als Quelle des geistigen Lebens.
Sogenannte Brandbriefe der Malerzünfte betrafen die Farben selbst gemäß deren Abkunft aus Feuer oder Erde. Der zum Schein im Majestätsbrief Rudolph II. erwähnte Begriff utraquistisch, der nach außen hin den Hussiten und deren Forderung nach dem Abendmal in zweierlei Gestalt gelten sollte, versprach in Wahrheit dem längst erwachten Bedürfnis der Maler nach dem Gebrauch von fetten Ölen und glänzenden Harzen jenseits inquisitorischer Zwänge zur Temperamalerei, nach dem Motto »Wasser und Ei machen den Maler frey«.
Religiöse Unterschiede störten den Kaiser nur wenig. Dass die böhmischen Maler, und nicht nur diese, die geheime Botschaft des Kaisers durchaus verstanden, bezeugt ein Dankesbrief des Malers Franz Chicolini aus Rom. Er nannte sich später in Prag aus Gründen der Emblematik am dortigen Hofe ›Ruzicka‹, das heißt ›Röschen‹, weil er dem Kaiser einst noch in Rom eine Rose, umgeben von ersterbenden Nattern, in Öl gemalt hatte. Es heißt in dem Begleitbrief: »dass wir kniefälligst dafür danken nunmehro frey von den alten Zwängen und Lasten so fett und so glänzend malen zu dürfen, als es der Kunstlust wider den Ungeist der mageren Theologie und ihre Eier verspeisenden Schlangen entspricht.«
»Ob nun feurig oder erdig, ob fett oder mager«, sagt der Kaiser nach Mehldorf in einem privaten Gespräch vor Adrian de Vries, Bartholomäus Spranger und Hans von Aachen, »die Natur des Menschen entspricht nach Gesetzen der Seel und des Leibes, der beyderlei Gestalt der kalten und der warmen Gestirne. Sehe der Künstler zu, der Stemenkunde zu folgen, dass kein Feuer der Farben ihn fresse und keine Unendlichkeit in den Lasurien, die er aufstreicht, ihn falsch in die Fernen lockt die man alsdann nit mehr malen noch sehen kann.«
Paul Mersmann: Fries (3)

Paul Mersmann: Fries (4)
Über die »Beyßwütigkeit« der feurigen Farben und die Sanftmut der als »ungenau« geltenden Farbnebel lasierender grüner Erden, besonders der böhmischen (sic), hatte der häufig antike Vergleiche hinzuziehende Harsdörffer sich schon früher geäußert und soll Albrecht Dürer gewarnt haben, dergleichen Quisquilien ernster zu nehmen, weil dessen Weib Agnes dicht neben ein Näpfchen mit caput mortuum einen Zinnteller mit Weintrauben auf den Tisch des Meisters gesetzt habe. Der Teller, als zum Teil dem Blei angehörend, bekäme davon die Hitzflecken.
Dürer äußert sich darüber gegen Pirkheimer und erwähnt auch den Namen des griechischen Malers, den Harsdörffer bei dieser Gelegenheit nannte. Es handelt sich um Herakleitos von Ephesos, der sich an einer von einem ungeschickten Schüler umgestoßenen roten Farbe die rechte Hand samt dem Pinsel aus Pinienholz schwer verbrannt haben soll.
Die Alchymisten, besonders Paracelsus, haben mehrfach von solchen Gefahren berichtet und warnen die Maler, die nicht glauben wollen, welchen Gefahren sie sich bei den kalten und warmen Farben aussetzen, wenn sie dieselben nicht »nach deren ›Gestirnen‹ (Horoskopen?) verwenden.«
Die Berechnung unterschiedlicher Jahreszeiten bei den Arbeiten an alten Tafelbildern unterliegt sehr häufig, wie Paulus Homomaris bewiesen hat, nicht allein der correction du temps sideral, sondern auch der temps sideral de la naissance!! was allerdings vor ihm schon von Harsdörffer in dessen Ephemeriden der Farben und deren Mal-Zeiten behauptet wurde. Das häufige Grün auf den Altarblättern gotischer Meister ginge danach zweifellos auf die strikte Einhaltung der determination des cuspides des maisons, wie der Kenntnis der directives pour l'utilisation zurück.

Zweifellos liegt aber eine bis dahin ganz unbekannte Brücke zu Harsdörffers an sich wenig bekannten Untersuchungen siderischer Farbwerte in einer der seltsamsten Schriften über militärische Einrichtungen der Neuzeit. Es geht um die Farbbestimmung »kraftvoller« militärischer Erwiderungen durch explodierende Farblichter, die Friedrich von Caserner den bayerischen Truppen 1836 gewidmet hat. Nicht nur zeugt seine bei jedem Wetter im Feld zu gebrauchende Drehkarte von sehr eindrucksvollen Kenntnissen über die Wirkung aggressiver Farben inmitten von Schmutz, Chaos und Blut einer Schlacht, sondern er widmet sie darüber hinaus auch seinem großen Lehrmeister Harsdörffer, der mehr über die kriegerischen Kräfte von Farben gewusst habe als alle Generäle und Marschälle. Er nennt Harsdörffer daher ehrfurchtsvoll »mon general du couleur aggressive«.
Diese Drehkarte ist aus Messing und dient, neben anderen noch kaum erforschten Funktionen, zunächst der Auswahl der Signalkugeln als alchymistischen Antworten auf die Überfälle feindlicher Artillerie. Dass sie nebenher gesagt einer Palette gleicht, ist in diesen Zusammenhängen kaum noch verwunderlich.

Lichtel, am 28. Juli 09
Paul Mersmann

Fortsetzung
Paul Mersmann: Fries (5)