In Nürnberg gab es eine kleine Gruppe sehr einflußreicher katholischer Grundbesitzer aus Bayern, die den bürgerlichen Kreisen der Kaufmannschaft fern standen und an den kühnen, von Harsdörffer bestimmten Kunsttheorien Anstoß nahmen. Der Widerstand wurde geschürt durch zwei verwegene Jesuiten, Adam Tintelnot und Franz von Rühleisen, die sich als versteckt agierende Verwalter der Gutshöfe in Nürnberg unauffällig zu bewegen wussten.
Was konnte der Inquisition wohl näher liegen, als in den Schattenspielen der Sprachkunst verborgene Kräfte zu fürchten, die in geheimen Botschaften unter die Leute gebracht werden sollten. Harsdörffers Einfluß war groß, nicht nur in Franken und Bayern wurden seine Schriften gelesen. So gab es in der Vatikanischen Bibliothek schon bald eine für die Rota bestimmte Imitation seiner Teutschen Verse in einer schier unübersetzbaren halbdeitschen Latinität. Da heißt es in einem Gedicht mit dem Titel Rotunda Silvana tedesca, wohlbemerkt als offenbar frei erfundenes Beispiel:
Luxitatus refundia bella / schier Waldland tedesca in runda
Unverstellbar gelehrichter Fux in des Malers troitus tumba.
Letarga dulce amore und der Pinselstrich der gelogene,
Verfasset, ergriffen, Eklogen, imitatio Ferror phantome.
Umgettum exessum selargum im Mutsprung gefundene Wallnuß.
Als Wahnfuß fortuna geheißen mit dem Astrum silvanum begeistern.
So tatsächlich über tausenddreihundert Zeilen hinweg. Die gelehrten Herren, darunter Deutsche, Franzosen und Portugiesen, lasen das Buch von vorne nach hinten, übersetzten das halb bekannte Latein und das noch weniger bekannte Deutsch, um dem köstlichen Werk als Siegel und Stempel ein sacramentum tedea satanas lustibus als letzte denkbare Folgerung aufzudrücken. Nur die Fraktion der Spanier, bereits durch Gongora verführt, zeigte sich heiter und lernte zum nicht geringen Vergnügen des Heiligen Vaters viele besonders konfuse Verse auswendig. Bei der Abstimmung wandten die Spanier sich ab, was vielleicht Harsdörffers Rettung bedeutete.
Da er durch Zuträger gewarnt oder ahnungsvoll annehmen mochte, was sich besonders im fernen Stuhlweißenburg ereignete, wo der blonde Tiger Arnulf von Blubben zu Lachthingen, der boshafteste Geist und Gubernator der dort vereinigten franziskanischen Superinquisitionen, heimlich gegen ihn im Schilde führte, vermehrte er seine Schriften über den Wert der Malerei für die rohe Natur, »welche mit großen Augen zur Kunst nach Hülfe schreyt«, wagte sich aber kaum noch in katholisch geprägte Städte. So sagte er im Sommer 1656 eine Reise nach München zu seinem alten Freund Steininger unter dem Vorwandt ab, »dermalen seien er und seine Schüler schon genugsam mit schwarzen Farben aus Spanien, der Terra Negra eingedeckt als dass sie von derselben in München noch mehr beziehen könnten.« Man darf annehmen, dass Steinmeier wohl begriff, was damit gemeint war.
Was die katholischen Kreise besonders gegen Harsdörffer aufbrachte, war die nach ihrer Meinung höchst gottlose Tiermalerei, die er in seinem Garten an der heutigen Stelzenbrücke zum Schrecken der Bürger betrieb. Da tummelten sich, wenn auch an Ketten, Wölfe, Luchse und Bären, die ihm und seinen auserwählten Schülern als Modelle dienten.
Vom Kaiser in Wien, der Löwen und Adler in den Dienst seiner Reputation gestellt hatte und mit Fürstentiteln auszeichnete, war in dieser Sache nicht viel zu erwarten. Übrigens hatte der hohe Rat der Stadt gegen den »gelehrigen Umgang mit wilden Tieren« nichts einzuwenden. So versuchten es manche in Rom. Ein entsprechender Brief ist erhalten.
In ihm klagt von Blubben Harsdörffer der Kränkung der Schöpfung und Verhöhnung des »vesten Glaubens an die Werke Gottes und der Stellung der Tiere in wilden Wäldern« an. Clemens IX. antwortete nach angemessener Zeit in lateinischer Sprache: Jucundus est Domino pro Arte in Naturam universalem et Coeli et Animae – »Der Himmel gönnet der Kunst ihren Anteil an der göttlichen Schöpfung.« Ausdrücklich verwies er in Sacrum diversis auf die theologisch noch offene Frage des Wertes der unerlösten Natur im Bezug zum erlösten Menschen, ob nämlich Christus auch die Tiere erlöst habe und wenn ja, von welcher Schuld? Er fragte, ob hier nicht ein heiliger Auftrag der Kunst gegeben sei, den einst ein Konzil zu lösen die Aufgabe habe.
Harsdörffers Ansichten sind von brennender Bedeutung geblieben, ohne das je ein Konzil sich der Sache angenommen hat. Was die Kunst offen auszusprechen verweigert – daß sie die Pflicht hat, im Auftrag ihres höheren Bewusstseins tatsächlich die Natur zu erlösen –, ist im Wahn der Naturwissenschaft, die stattdessen die Natur bis zu deren Vernichtung erpresst, längst untergegangen.
Und doch ist Harsdörffers Geist nicht ebenfalls untergegangen. »Was ist in der Kunst vergeblich, wenn nicht sie selbst, indem sie sich unaufhörlich mit jedem neuen Kunstwerk in die Kette jener Verluste einreiht, die Leben genannt wird«, resümiert sein bedeutender Schüler im Geiste, Thomas Westhold, der allzu früh in Worpswede beim Erlösungswerk
seiner Malerei im Moor bei Halskoogen untergegangen ist, nicht anders als Segantini in den Schneewüsten des Monte Rosa. Beide waren wie einst Harsdörffer unter den wilden Tieren davon besessen, die Natur an ihren gefährlichsten Orten mit Pinsel und Farbe zu bannen und zu erlösen. Ob sie Harsdörffer je gekannt, ihn jemals gelesen haben, bleibt
fraglich, bestätigt aber die offene Frage Clemens IX., ob es nicht an der Zeit wäre, endlich in Rom ein Kunstkonzil zu eröffnen, ehe die Natur ihrerseits die Kunst rein zoologisch bewältigt hat.
Fortsetzung folgt