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Paul Mersmann

Das wenig bekannte Auge des Mondes




In seltsamer Bescheidenheit spricht Harsdörffer kaum je von seinen Werken als Maler. Teils vielleicht deswegen, weil der Umgang mit seinen gelehrten Freunden und Humanisten wenig Anlass dazu bieten mochte, teils weil er selber am liebsten gelehrte Schriften verfasst hat. Nicht einmal die gefährlichen Tatzenhiebe eines von ihm porträtierten Bären, den er immer aufs Neue mit vollen Pinseln einer Farbe namens Aurora dulce beschwichtigen musste, sind näher bekannt geworden (nach Vermutungen des Alchimisten Johann Christo-Schellendorf ein mit Honigseim durchmischtes Kasseler Braun). Jedenfalls findet sich eine solche Farbe aus ähnlichen Gründen noch einmal bei dem polnischen Löwenmaler Stanislaus Drischinsky der zahlreiche Löwenbilder im neunzehnten Jahrhundert für indische Maharadschas gemalt hat. (Beispiele in der Lindforst Galerie von Lord Lesterfield-Sherwood in Bückeburg.)
Zum Kunstverständigen Discurs, von der edlen Mahlerey, von Georg Philipp Harsdörffer
Nürnberg 1652

Versuch einer außerwissenschaftlichen Rezension

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Fünfte Sendung

Bildmotive:
Paul Mersmann, Villa Glücklich
Aufnahmen Doro Breger
Fries (1)

Paul Mersmann: Fries (2)
Dass man noch in manchen Blautönen der berühmten Düsseldorfer Nachtstücke aus der Zeit der Achenbachs Zusätze von Honig gefunden hat, kann wohl kaum der Beruhigung jener von Oswald Achenbach spöttisch als Rheinlöwen bezeichneten Dilettanten gegolten haben, als vielmehr der bewussten künstlichen Schwärzung seiner mondbeleuchteten Landschaften. Überhaupt aber blickt die Einpflanzung von Speisen in Malerfarbe seit der Steinzeit auf eine sehr alte Tradition zurück. Vielleicht hat ja Harsdörffer selber in seinem großen Gemälde Das Frühstück der Malerfürsten von dieser »Küchenpractica der edlen Malkunst« Gebrauch gemacht. Immer wieder, so haben Generationen von Saaldienern geklagt, hätten Schwärme von Fliegen das Bild an vielen Stellen geschwärzt, besser noch angefallen. Lange vor Rubens und den zahlreichen Gemüsegebirgen und toten Hasen, die Snyders ihm so vorzüglich zu malen wusste, gab es eben noch andere, ganz der magischen Verbindung menschlicher Bedürfnisse und der Malerei zugewandte Praktiken.

Bevor dem bedeutenden Meisterwerk an dieser Stelle wenigstens eine kurze Würdigung widerfahren kann, bedürfte es eigentlich einer heute nur schwer zu erstellenden Liste der damals speisefähigen Zusätze und Namen solcher in jener Zeit recht häufig erwähnten Farben. Da gäbe es beispielsweise den Jupiterspeck für ein glänzendes Blau zwischen weißen Wolken, wie es Poussin benutzt haben könnte, oder jenes Rosario zuccero für das bräunliche Rosa italienischer Meister. Leider gibt es dazu auch noch zahlreiche Überschneidungen mit jenen Elementareigenschaften wie kalt und warm, feurig und inflammable, trocken oder selbst heyter, die sich in Harsdörffers Unterlagen zum »Werkstatgeprauch« häufig genug finden lassen, sodass wir noch immer nicht schlüssig kulinarische oder rein chemische, ja selbst moralische Bezeichnungen von einander zu trennen vermögen. Das gilt beispielsweise für das Grasteufelgrün des Homomaris, das ebenso häufig für Bäckersbraun und Sulzfett d'amiene, also Büffelgelb zu gelten scheint, vom Tüffelsschwarz ganz zu schweigen, sodass hier noch viele literaturwissenschaftliche und chemische Untersuchungen den Grabbeauinstituten überlassen bleiben.
Paul Mersmann: Fries (3)

Paul Mersmann: Fries (4)
Wenden wir uns daher gezwungenermaßen, ohne gründliche technische Vorkenntnisse, einem, wie man bereits bemerken muss, unendlich vielschichtigen Werk wie dem Frühstück der Malerfürsten zu, so bemerkt man die fast prophetische Freiheit der einzelnen Porträtfiguren, wie sie Grandville nicht besser hätte erfinden können. Manche der Malerfürsten erinnern an künftige Meister wie Rembrandt oder van Gogh, sind aber zugleich auch Tiergestalten verwandt und bilden eine ins Waldreich- und Dunkle spielende Hecke, aus der selbst Teller, Kannen, Fässer, Tafeltücher oder Besteckteile als Pflanzen wachsen. Von mächtigen Schichten gewölbter Farben geformt finden sich kostbar geschwungene Staffeleien als prachtvolle Büsche, aus denen, gleich lebenden Pinseln, Blumen wachsen. Auffallend aber besonders Ströme von seltenen Farben, die von beiseite gelegten Paletten über die zierlichen Handschuhe der Künstler fließen, als wären es ihre Hände, die sich selbst noch als Hinterlassenschaften und Opfer der Kunst in einer Pause der Malerei in Farben zu betten wussten.

Sandrart war, wie man weiß, von diesem riesigen Bild im Speisesaal des italienischen Gesandten Lucio Garganelli nur wenig beeindruckt, ja eigentlich abgestoßen. Er soll vor Dürer von einem »prachtvollen Abfallhaufen hinter dem Vatikan« gesprochen haben und daran ist im Sinne der Reformation ja vieles verständlich. Hätte denn dieses Meisterwerk der malerischen Verblendung nicht auch in Florenz Savonarola in Wut versetzt? Aber es ist zugleich eine Brücke der Gegenaufklärung und damit ein rettender Farbwahn für die bis heute verkannte Kunst, und zugleich noch immer ein ›Abfallhaufen hinter dem Bauhaus‹. Man betrachte das liebenswürdige Bärenhaupt Harsdörffers selber, wie es, zum Teil von rötlichem Fell bedeckt, den Glanz entfernter Naturbezüge der älteren Menschheit ausdrückt. Alsdann das Glas seiner stillen Augen, die ruhige Stirn, das zarte Haar des wohlgeglätteten Hauptes und wie trotz aller Ausflüge in das hier so befreite Haus der Natur der menschliche Zug getreu erhalten geblieben ist: Harsdörffer lächelt! Dann der Kopf eines Fuchses, der an van Gogh erinnert, und Rubens als gerötete Seerose mit prächtigem Federhut. Gewiss, es bestehen Zweifel, ob Harsdörffer dies alles selber erfunden, die köstlichen Zusammenhänge nicht nur erträumt, sondern auch bewusst konzipiert und auf seine Weise errechnet hat. Berge mathematischer Linien und Abläufe sind uns erhalten geblieben. Einige gleichen Gebirgszügen im Morgenlicht, andere den Ufern bayerischer Seen, auf denen sich rollende Augen wie Kähne bewegen.

Fortsetzung
Paul Mersmann: Fries (5)