Clevenhöver fand 1956 Tatzenhiebe aus
Bronze an vielen der in Ulm in der Stadtmauer wiederentdeckten
Figuren, die man beim Domsturz 1511 zu Befestigungszwecken gegen
einen Rachefeldzug des Errzbischofs hatte vermauern lassen. Im
Schottenmagazin zu Wintersbach bei Regensburg, einem zugemauerten
Magazin der ersten amtlich vermerkten Feuerwehr Bayerns, stand
sogar ein verstaubter Greif von 18 Fuß Höhe aus Schmiedeeisen und
in Ledermontur, der sein wüstes Wesen in fast allen Kirchen der
Umgebung im Sinne des neuen Geistes »wider den Schwefcldunst der
gottlosen Hundsfötterei der Künste« ausgeübt hatte. Auf einer
abgegriffenen Holztafel war sein Dienstpersonal verzeichnet,
darunter mehrere fanatische Pastoren. Jetzt erst begriffen
Clevenhöver und Donnersbach die ganze technisch geübte
Gewaltausübung des neuen wissenschaftlich verbrämten Glaubens an
den furchtbar abgerissenen Köpfen der Marien und Apostel, besonders
an der Donau entlang bis Lohenhausen. Nachgerade glaubten sie auch
in den Bombenangriffen auf Dresden und Würzburg eine puritanische
Fortsetzung dieser Zerstörungswut durch Imitationen fliegender
Drachen und Greife zu entdecken, wie sie sich übrigens als
kindische Malereien auf den Flugzeugen und Bomben
wiederfanden.
Harsdörffer zeichnete auf einem an
Leonardo erinnernden Zettel zwei geradezu poetisch durchlöcherte
oder durchschossene Gewänder der heiligen Cäcilie sowie eine
flugzeugartige Orgel, die an mehreren Stellen Spieße und Säbel
hervorstreckt, als gelte es. böse Dämonen durch kriegerische Musik
zu verjagen.
Wo überhaupt lag der frühe Widerstand gegen das heraufdämmernde
Postulat Hegels vom Ende der Kunst? Er lag in der kurzen, aber tief
entschlossenen Flucht Harsdörffers in die Natur.
Dass er mit zwei seiner ergebenen Schüler, Hauner und Graber, sowie
einem Mühlenesel und einem kleinen Karren noch vor dem Morgengrauen
des 15. Mai 1658 über die Brücke des Spitaltores die Stadt Nürnberg
verließ, ist gut belegt durch den Großvater Hauners, der
»verschworener«, also vereidigter Hüter des dortigen kleinen
»Schlupftores« war. Solche Ausgänge waren zum Botenverkehr und für
wichtige städtische Angelegenheiten außerhalb der
Haupttorschlussordnungen eingerichtet und bei privatem Begehren an
Geldabgaben gebunden.
Harsdörffers Flucht war durchaus teuer, denn man zahlte damals pro
Kopf, Esel und Karren, pro Rad und Achse je einen halben
Silberstübcr, so ernst nahm man die Sache, Allerdings bedurfte es
zweier Knechte, die schweren Riegel zu heben, und eines Boten an
die dortige Stadtwache.
Hauner, vielleicht gebildeter als der Lieblingsjünger Harsdörffers,
Graber, übernahm die »Waldamtlich Puchführung zur neuwen köstlichen
Verstrickung der Kunst mit der Ödnis«.
Schon am erstenTag gelangte man tief in den Hänfner Wald und begann
sich Wurzeln zu stechen, um dem neuen Ornamentum »ein Tüchlein zu
weben«. »Des war rot und grün durchflecket von sonderlich neuwer
Kunst. Der Meister bestrich es mit Ocker und Olifarw aus Honigseim
und Brotkrumen, um Fliegen zu locken. Das war bald ein lebendig
summendes Fähnleyn über dem Karren, als wir denn tiff hinein in den
wilden Wall zogen.«
In der »Puchführung« ist folgendes
Gespräch zwischen Harsdörffer und seinen zwei Gesellen überliefert
(bis hierher durchgesehen und ausgedruckt):
Harsdörffer (mit dem Stab einen auffallend runden Stein umwälzend,
beiläufig an Gräber): »Meines Bedünkens liegt hier das Herz des
Waldes. Aldann ein offen Wort an euch beide: Ich hab wollen das wir
auserwählt seynd die ersten neuwen Gefangenen der alten Naturae im
Namen Apollons zu sein. Dann aber mit Pinsel und Farwe ausbrechen
aus ihr ist das neuwe Ziel, gegeben zur Erlösung von Wald und Flur,
Tier, Vogel und Käfer ober und unter der Erden, welche zwar alle
synd worden durch Gott erschaffen, nicht aber erlöst. Das ist der
Kunst größtes Geheimnus. Unser guter Esel des Namens Nullam wird
mit Recht als erster gemalt und in neuwer Freyheit benannt und
entlassen zum Ignorantus-Viktorius. Auf, meine guten Gesöllen,
malen wir ihn ehe es dunkel wird.«
Das war dem Esel recht, er sprang auf und stellte sich sehr
gefällig an einen Eichbaum, dass ein Zweig seine Stirne berührte,
und bewegte sich nicht.
Hauner: »Und kommen dann wir davon, wenn wir soviel von uns selber
zu geben haben? Am guten End ist der Esel frey und wir sind zum
Esel geworden.«
Harsdörffer (mit feinem Lächeln): »Nicht gar so unberechtigt. Holt
mir die geschliffene Tafel. Nur durch den Spiegel geht dieses
Geschäft.«
Graber: »Wußt ichs doch, nicht aus Eytelkeit haben wir ihn mit
Stroh und Leinen umwunden.«
Harsdöffer: »Stellt ihn so auf, das wir nur den Esel im Spiegel
sehen, um ihn da heraussen zu malen. So ist die Kunst ja
beschaffen, nur im Spiegel ist die Natur zu bewältigen.«
Das Bild des Esels hängt heute in
Oppstedde bei Greifenbögge und wurde bereits mit Recht von Dehio
als »in naturam dei gloriam« bezeichnet und den dänischen Malern
der Gegend abgesprochen. »Wohin die anderen Bilder dieser
Harsdörfferschen Waldperiode gelangt sind, weiß man nicht. Übrgens
blieb es ja auch nur eine kurze Episode, denn Gräber erkrankte noch
im Sommer des gleichen Jahres an einem giftigen Pilz und man kehrte
»vom Gift des Waldes gesättigt« nach Nürnberg zurück.
Immerhin haben wir hier das Beispiel einer sehr frühen romantischen
Vergöttlichung der Natur in Gestalt gemalter Eklogen, wie sie erst
später wieder von Paul Homomaris aufgenommen werden konnten.
Allerdings unter anderen Prämissen, Harsdörffers Gruppe hatte sich
verstiegen, denn noch noch lebte die ganze Kunst bis weit über die
Alpen auch ohne die vorgesetzten Spiegel in einem
schöpferisch-künstlichen Widerspruch zur Natur. Homomaris hingegen
war durch die Verluste der Kunst mühsam genug gezwungen sich zu
erheben, um als Künstler unter Neobarbaren heil davon zu kommen,
der Sog des Unheils war zu gewaltig.