GRABBEAUMUSEUM IM NETZ Gang rot »
Paul Mersmann

Das wenig bekannte Auge des Mondes




Wie es gelegentlich sensitiven Personen zu gehen pflegt, war Harsdörffer keineswegs ahnungslos im Hinblick auf die unterschwelligen Strömungen und Geistesbewegungen, die von jenen zwei Jesuiten in Nürnberg ausgingen. Die geheimen katholischen Bestrebungen dort waren andererseits noch immer in traditioneller Weise der Kunst, im Sinne des alten Reichtums religiöser Stimmungen und Seelenbilder, ergeben. Und so erkannte Harsdörffer bald das spirituelle Netz zwischen den eigenen Theorien und manchen Lehren der alten Kirche. Gewissermaßen ist Harsdörffer bereits damals und nicht erst vor seinem Tode konvertiert.
Zum Kunstverständigen Discurs, von der edlen Mahlerey, von Georg Philipp Harsdörffer
Nürnberg 1652

Versuch einer außerwissenschaftlichen Rezension

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Zweite Sendung
Dritte Sendung
Vierte Sendung
Fünfte Sendung

Bildmotive:
Paul Mersmann, Villa Glücklich
Aufnahmen Doro Breger
Fries (1)

Paul Mersmann: Fries (2)
Anlässlich der Beerdigung seines alten Freundes, des katholischen Tischlers Frohnhard Kuchenbaum, des Erfinders der zweifachen Standpalette und vieler anderer nützlicher Malutensilien, deren Sinn uns heute verloren gegangen ist, trat dies besonders ans Licht. Da man durch seine sogenannte »Schattenpastille« oder auch Nürnberger Fächerhütte aus lauter sinnreich zusammengesteckten »luftfärbigen« Seidenschirmen auf allen Plätzen der Stadt fast unsichtbar malen konnte, entschloss sich Harsdörffer, in ihrem Schutz eine große geheime Malfeier der Totenehrung zu veranstalten. Um den bekanntlich allen Bürgern auf die eine oder andere Weise an öffentlichen Plätzen lästigen Künstlern, die ja schon immer als unerwünschte Vertreter einer rätselhaften Zukunft aufgefasst wurden, ein Schnippchen zu schlagen, eröffnete Harsdörffer mit neunundvierzig solcher Fächerhütten auf allen Plätzen Nürnbergs das Malerfest zu Ehren Kuchenbaums. Dreihundertzwanzig »Stiftemoler« Frankens und Bayerns – unter diesem Begriff verstand man Radierer und Zeichner, aber auch »Ölgänger«, also Paintisten – wurden von Kuchenbaums Sohn Radianus angeführt und auf verdeckten Wagen in die Stadt gebracht. Er war Oberzeichner in Würzburg und hinterließ eine Reihe von trefflichen Radierungen dieser Veranstaltung, die er uns in seinem »Ober- und Unterhimmel für Nürnbergs Schöpferpatrone« wiedergegeben hat. Sie schildern Harsdörffers Inszenierungen vermutlich mit großer Genauigkeit.

Besonders die Wald- und Tierkunst wurde dargestellt durch eine Art Kolosseum mit malenden Gladiatoren zwischen Wölfen und Bären. Mit Pinseln in der Länge von Lanzen stachen die Künstler, als wilde Männer verkleidet, nach den grimmig an Ketten verharrenden Tieren und malten danach auf Tafeln phantastische Schutzpatrone der Jagd als ihre Erretter. Einige dieser inzwischen rätselhaft anmutenden Bilder sind in ländlichen Kirchen nahe der Stadt bis heute vertreten. In Stuffenweiler über der Jagst hing noch zu Zeiten Dehios ein prachtvoller Kaiser Augustus im Kampf mit einem der Nürnberger Löwen. Maler umringen ihn schützend und stechen das Raubtier mit ihren Pinseln. Blumen und Architektur tragen deutlich Harsdörffers Handschrift. Wohin es nach dem Kriege gelangt ist, bleibt leider unbekannt. Um diese doch sehr umfangreichen Veranstaltungen zu ermöglichen, bedurfte es aber jenes seltsamen künstlichen Abgrundes, der sich nach der Bombardierung der Stadt durch alliierte Flugzeuge den erschrockenen Bürgern ein zweites Mal darbot. Von der unteren Senker oder Bäckergasse bis hinauf in den Stubenhof zog sich die Spur eines schmalen Kraters aus Lehmblasen und abgebrannten Kulissen, die offenbar vollkommen künstlich durch nichts als fünf oder sechs mit Quecksilbersubstanzen bestrichene Spiegel alchimistischer Herkunft entstanden waren. Der damalige Konservator Professor Ludwig Wehrhoff hatte sie in sorgfältig ausgestatteten Mauerspalten entdeckt. Da er ihre Bedeutung zunächst nicht erkennen konnte, stellte er sie auf den zur Hälfte zerstörten Balkon seines Institutes, wo er sie dann aber leider vergaß.
Paul Mersmann: Fries (3)

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Erst am 25. September Neunzehnhundertvierundvierzig, in einer hellen Mondnacht, kam es durch Spiegelungen von der Westseite des Institutes aus zu einem sogenannten »Nürnberger Bildersturz ohne Täter«, wie Wehrhoff sehr treffend notiert hat. Denn obwohl in dieser Nacht keine einzige Bombe gefallen war, fand man in vielen Kirchen der Stadt umgestürzte Figuren und riesige Brandflecken, Erst ein in der darauf folgenden Nacht abgesprungener Bomberpilot berichtet in größter Verwirrung von einem riesigen Krater voller Raubkatzen an Ketten in flammenden Farben. Man hielt den auf Deutsch stammelnden jungen Mann, Sohn eines fränkischen Auswanderers, allgemein für verrückt.
Dem erfahrenen Konservator war es aber schon damals halbwegs klar, dass es sich um die späte Wiederkehr des Harsdörfferschen Kolosseums handeln könnte, das aus unbekannten Quellen der alten Werkstatt des Malerfürstcn, einem jetzt als Papierlager benutzen Nebengebäude des Pfarramtes, hervorgebrochen sein mochte. Wohlweislich schwieg er darüber. Die gefundenen Spiegel wurden jedoch bereits nach dem Einmarsch der Amerikaner durch einen »fantasy officer«, es gab sie ja wirklich, auf den Spuren der geheimen Ursachen des Nationalsozialismus konfisziert und liegen heute, wahrscheinlich vergessen, im »demoniac paradise« von Fort Knox, so nennt man dort unter der Hand ein Zwischenlager »for grotesque political religions, g.p.r«. Wenngleich sie sich zum Erzeugen von Nazis wohl ebenso wenig eignen wie zur Stiftung »öffentlich böser Willensbildungen«, waren Versuche der Kaleidoskopischen Gesellschaft zu Frankfurt, sie endlich einmal sehen zu wollen, vergebens. Allerdings soll es Abbildungen davon in einer der internationalen Abteilungen des Grabbeau-Museums in Cincinatti geben.
Dieses ganze Ereignis wirft überhaupt ein denkwürdiges Licht auf die Bilderstürmer früherer Zeiten. So wurden die Heiligenbilder nicht immer mit Hämmern, Äxten und Stangen zerstört. Man darf die damals neue wissenschaftlich-technische Bildung dieser Kunstfeindlichkeit nicht übersehen. Keineswegs sind die Löwentatzen und Greifen der ersten wissenschaftlichen Instrumente sinnentleerte Zieraten gewesen, vielmehr handelt es sich um Verwandlungen dämonischer Grundmotive des beschädigten Glaubens. Man kehrte in dieser Zerstörung zugleich zurück auf dunklere Vorstufen der Sündenheilung im Dienste der Gottesrache durch mechanisch abgerichteteTeufel.

Clevenhöver fand 1956 Tatzenhiebe aus Bronze an vielen der in Ulm in der Stadtmauer wiederentdeckten Figuren, die man beim Domsturz 1511 zu Befestigungszwecken gegen einen Rachefeldzug des Errzbischofs hatte vermauern lassen. Im Schottenmagazin zu Wintersbach bei Regensburg, einem zugemauerten Magazin der ersten amtlich vermerkten Feuerwehr Bayerns, stand sogar ein verstaubter Greif von 18 Fuß Höhe aus Schmiedeeisen und in Ledermontur, der sein wüstes Wesen in fast allen Kirchen der Umgebung im Sinne des neuen Geistes »wider den Schwefcldunst der gottlosen Hundsfötterei der Künste« ausgeübt hatte. Auf einer abgegriffenen Holztafel war sein Dienstpersonal verzeichnet, darunter mehrere fanatische Pastoren. Jetzt erst begriffen Clevenhöver und Donnersbach die ganze technisch geübte Gewaltausübung des neuen wissenschaftlich verbrämten Glaubens an den furchtbar abgerissenen Köpfen der Marien und Apostel, besonders an der Donau entlang bis Lohenhausen. Nachgerade glaubten sie auch in den Bombenangriffen auf Dresden und Würzburg eine puritanische Fortsetzung dieser Zerstörungswut durch Imitationen fliegender Drachen und Greife zu entdecken, wie sie sich übrigens als kindische Malereien auf den Flugzeugen und Bomben wiederfanden.
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Harsdörffer zeichnete auf einem an Leonardo erinnernden Zettel zwei geradezu poetisch durchlöcherte oder durchschossene Gewänder der heiligen Cäcilie sowie eine flugzeugartige Orgel, die an mehreren Stellen Spieße und Säbel hervorstreckt, als gelte es. böse Dämonen durch kriegerische Musik zu verjagen.
Wo überhaupt lag der frühe Widerstand gegen das heraufdämmernde Postulat Hegels vom Ende der Kunst? Er lag in der kurzen, aber tief entschlossenen Flucht Harsdörffers in die Natur.
Dass er mit zwei seiner ergebenen Schüler, Hauner und Graber, sowie einem Mühlenesel und einem kleinen Karren noch vor dem Morgengrauen des 15. Mai 1658 über die Brücke des Spitaltores die Stadt Nürnberg verließ, ist gut belegt durch den Großvater Hauners, der »verschworener«, also vereidigter Hüter des dortigen kleinen »Schlupftores« war. Solche Ausgänge waren zum Botenverkehr und für wichtige städtische Angelegenheiten außerhalb der Haupttorschlussordnungen eingerichtet und bei privatem Begehren an Geldabgaben gebunden.
Harsdörffers Flucht war durchaus teuer, denn man zahlte damals pro Kopf, Esel und Karren, pro Rad und Achse je einen halben Silberstübcr, so ernst nahm man die Sache, Allerdings bedurfte es zweier Knechte, die schweren Riegel zu heben, und eines Boten an die dortige Stadtwache.
Hauner, vielleicht gebildeter als der Lieblingsjünger Harsdörffers, Graber, übernahm die »Waldamtlich Puchführung zur neuwen köstlichen Verstrickung der Kunst mit der Ödnis«.
Schon am erstenTag gelangte man tief in den Hänfner Wald und begann sich Wurzeln zu stechen, um dem neuen Ornamentum »ein Tüchlein zu weben«. »Des war rot und grün durchflecket von sonderlich neuwer Kunst. Der Meister bestrich es mit Ocker und Olifarw aus Honigseim und Brotkrumen, um Fliegen zu locken. Das war bald ein lebendig summendes Fähnleyn über dem Karren, als wir denn tiff hinein in den wilden Wall zogen.«

In der »Puchführung« ist folgendes Gespräch zwischen Harsdörffer und seinen zwei Gesellen überliefert (bis hierher durchgesehen und ausgedruckt):
Harsdörffer (mit dem Stab einen auffallend runden Stein umwälzend, beiläufig an Gräber): »Meines Bedünkens liegt hier das Herz des Waldes. Aldann ein offen Wort an euch beide: Ich hab wollen das wir auserwählt seynd die ersten neuwen Gefangenen der alten Naturae im Namen Apollons zu sein. Dann aber mit Pinsel und Farwe ausbrechen aus ihr ist das neuwe Ziel, gegeben zur Erlösung von Wald und Flur, Tier, Vogel und Käfer ober und unter der Erden, welche zwar alle synd worden durch Gott erschaffen, nicht aber erlöst. Das ist der Kunst größtes Geheimnus. Unser guter Esel des Namens Nullam wird mit Recht als erster gemalt und in neuwer Freyheit benannt und entlassen zum Ignorantus-Viktorius. Auf, meine guten Gesöllen, malen wir ihn ehe es dunkel wird.«
Das war dem Esel recht, er sprang auf und stellte sich sehr gefällig an einen Eichbaum, dass ein Zweig seine Stirne berührte, und bewegte sich nicht.
Hauner: »Und kommen dann wir davon, wenn wir soviel von uns selber zu geben haben? Am guten End ist der Esel frey und wir sind zum Esel geworden.«
Harsdörffer (mit feinem Lächeln): »Nicht gar so unberechtigt. Holt mir die geschliffene Tafel. Nur durch den Spiegel geht dieses Geschäft.«
Graber: »Wußt ichs doch, nicht aus Eytelkeit haben wir ihn mit Stroh und Leinen umwunden.«
Harsdöffer: »Stellt ihn so auf, das wir nur den Esel im Spiegel sehen, um ihn da heraussen zu malen. So ist die Kunst ja beschaffen, nur im Spiegel ist die Natur zu bewältigen.«
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Das Bild des Esels hängt heute in Oppstedde bei Greifenbögge und wurde bereits mit Recht von Dehio als »in naturam dei gloriam« bezeichnet und den dänischen Malern der Gegend abgesprochen. »Wohin die anderen Bilder dieser Harsdörfferschen Waldperiode gelangt sind, weiß man nicht. Übrgens blieb es ja auch nur eine kurze Episode, denn Gräber erkrankte noch im Sommer des gleichen Jahres an einem giftigen Pilz und man kehrte »vom Gift des Waldes gesättigt« nach Nürnberg zurück.
Immerhin haben wir hier das Beispiel einer sehr frühen romantischen Vergöttlichung der Natur in Gestalt gemalter Eklogen, wie sie erst später wieder von Paul Homomaris aufgenommen werden konnten. Allerdings unter anderen Prämissen, Harsdörffers Gruppe hatte sich verstiegen, denn noch noch lebte die ganze Kunst bis weit über die Alpen auch ohne die vorgesetzten Spiegel in einem schöpferisch-künstlichen Widerspruch zur Natur. Homomaris hingegen war durch die Verluste der Kunst mühsam genug gezwungen sich zu erheben, um als Künstler unter Neobarbaren heil davon zu kommen, der Sog des Unheils war zu gewaltig.