‹projekt köpfe›

Jürgen Wölbing: Köpfe (23)
Er sog die Luft ein. Wenn es im Winter schneite, dann mischte sich unter den frischen, kühlen Duft des Schnees der warme harzige Geruch von verbranntem Holz. Jetzt roch er eigentlich gar nichts. Kalt war ihm immer noch nicht. Obwohl der Schnee, durch den er ging, inzwischen höher reichte als der Stiefelschaft. Ich muss längst nasse Füße haben, dachte er. Aber er spürte es nicht. Vielmehr spürte er, wenn er den Kopf zum Himmel hob, wie er es als Kind immer gemacht hatte, die sanft auf ihn niederfallenden Flocken. Er fing sie mit dem Mund auf. Sie schmeckten nach Salz. Sie schmeckten nach Meer.
Einmal hatte er erlebt, dass der Strand, es war an der Nordsee, da war er ziemlich sicher, vollkommen verschneit war. Der Schnee reichte bis ans Wasser. Bei jeder Welle wurde ein bisschen Schnee ins Meer gezogen. Der ganze Strand war blütenweiß gewesen. Und er, frühmorgens, der Erste, der hinunterging zum Wasser. Nur seine Fußspuren waren zu sehen. Keine anderen. Und nun schmeckte Flocke für Flocke nach Salz. Es kann nicht sein, dachte er, es ist gewiss Einbildung, weil ich mich so genau an diesen Morgen erinnere. Seine Frau hatte noch geschlafen, er, der Frühaufsteher, war wieder einmal allein losgegangen. Später, beim Frühstück, erzählte er ihr, wie es aussieht, wenn das Meer den Schnee kostet. Sie hatte diese Formulierung ziemlich albern gefunden. Und er im Grunde auch. Doch jetzt gab es nichts zu deuteln: Der Schnee schmeckte salzig.