Ulrich Schödlbauer
Wölbings Belustigungen
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Festland
Landschaften
Gestalten
Differenz
Entzug
Abschied


Jürgen Wölbing

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Festland. - Wölbings Beiträge zur Ästhetik des Whoppers begnügen sich nicht damit, ihn zu porträtieren; sie finden ihn allenthalben. Dem Metzger gleich, der hinter dem anämischen Wesen seiner Kundschaft den verderblichen Einfluss von Tiefkühlkost wittert, sieht er seinen Gestalten den Bissen im Leibe auf zehn Schritt Entfernung an. Man merkt sofort, dass sie herumgekommen sind und ganz bei der Sache; zuhause immer gerade da, wo sie die Zeichnung queren. Nicht dass es ihnen freistünde, auf zwei Beinen aus dem Bildraum hinaus zu schlendern. Sie sausen vorbei, Körpergespinste im leeren Raum, der wachsame Kamerablick folgt ihnen auf dem Fuße. Einige verlieren sich im Rausch der Geschwindigkeit; es schert sie nicht, dass der Dosenverschluss linkerhand lässig mithält. Auch zählt nicht das große Tempo, sondern die Konzentration des Jungen, der Skateboard fährt und augenblicklich nicht ansprechbar ist - ausgerichtet auf den Punkt, aus dem die Welt hervorschießt, um schon verschwunden zu sein, erzeugt er das Vakuum, das ihn verzehrt.

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Jürgen Wölbing: Physiognomische Berichtigungen /2 Landschaften. - Landschaften, die den Müll intus haben: Traumländer mit Wolken, Brücken und Stegen durchs nächtliche Gebirg. Der Betrachter ahnt mehr, als dass er es sähe, das Fadenscheinige einer vorsichtig neu gefassten, den Vorbehalt mit komponierenden Arte povera. Überall dringt der Grund durch, kein Zeichengrund, sondern der Grund der zeichnerischen Vertiefung, die autonome Reprise - autonom deshalb, weil es gleichgültig ist, welche Bewegung sie wiederholt, welche Verteilung von Licht und Schatten das rasch ziehende Gewölk des Erinnerns auf sie herabsenkt. Der Zeichner meidet die Bloßstellung, dieses bittere Futteral, das wegschließt, worauf es ankommt. Was er sucht, ist naheliegender und entlegener. Der Fuß da, die Geste, der gekrümmte Rücken, alles erinnert, steigt doppelt auf, bietet sich an als lose Übereinstimmung von ›Gesehenem‹ und ›Überkommenem‹.

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Berichtigungen /3 Gestalten. - Diese undefinierten Gestalten, verflochtene, verknotete, ent- und verwirrte, in rasender Eile daherkommende oder stationär verfließende Wesen, die den Bildraum bevölkern, variieren ein und dasselbe Motiv. Alle tragen die Kreditkarte dort, wo sie hingehört - über dem Herzen. Sie wirken gelöst, denn sie wissen, dies ist ihre Welt. Ob sie ihren Geschäften nachgehen oder sich gerade von ihnen erholen, macht keinen Unterschied. Wenigstens geht er niemanden etwas an. Sie halten die Augen offen, immer auf dem Sprung, ein Schnäppchen zu machen. Thermopylae dünkt sie eine sandige Piste, die Nike von Samothrake ein Gipsei. Der Zeichner sieht es ihnen nach; seine Wahrnehmung, den Aufbrüchen des Jahrhunderts verpflichtet, unterscheidet sich von ihrer nur wenig. Dieses Wenige, die ungewisse Differenz, die ihn von seinen Objekten trennt, öffnet den graphischen Raum, in den er sie entlässt. Ihre Cleverness verliert sich an die umgebende Leere, sie kommt als das zurück, was man die ungetilgte Profanität des Abgrunds nennen könnte. Die Epiphanie des Undeutlichen, des verwischten, krakelig hervor tretenden, dann wieder das Phlegma öliger Flächen äffenden, seiner Bestimmung ledigen Elements setzt jede erdenkliche Art von Kosten - Nutzen - Rechnung voraus und macht sie gegenstandslos. Das Amorphe zeigt sich in guter Form. Es wirkt geschäftig.

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Berichtigungen /4 Differenz. - Die Botschaft der Differenz, hier ist sie angekommen. Was immer sich dem Betrachter von der Anstrengung mitteilt, die in den Landkarten der Kunstgeschichte aufgeklappten Wege nachzufahren, es wird aufgewogen durch die klare und nicht sehr distinkte Einsicht, dass das zu Erkundende in der Konzentration auf den Weg ersteht und vergeht, beides in einem Zug. Nicht der Akt entscheidet über das Gelingen, sondern das Resultat, falls es sich einstellt, ohne den Erwartungen zu entsprechen. Das Ergebnis einer Bemühung: Was ist das? Etwas, das sich ergibt. Ein Sieg vielleicht? Wenn ja, dann ein zweideutiger. Der Grund der Ergebung bleibt ebenso im Unklaren wie das, was aus ihr folgt. Sehen so Siege aus? Oder doch eher Niederlagen? Eines scheint sicher: Sollte es Positionen geben, um die - aus Gründen, die jedem strategisch Denkenden unmittelbar eingehen - gerungen wird, Positionen, die nur da sind, um eingenommen und verteidigt zu werden, so finden wir hier Techniken am Werk, welche im Ausweichen die Lust der Erfahrung vermitteln. Das Umwegige hat seinen Preis. Was es vermeiden hilft (oder vermeiden soll), sind Gefahren vom Hörensagen. Die einflüsternde Kraft des Gerüchts ist als negative Produktivkraft geschäftig. Sie teilt dem Künstler mit, dass es dort nichts zu holen gibt. Zwar beweist das instinktive Ausweichen vor Plätzen, an denen sich Zeitgenossenschaft bewährt, für sich genommen nichts. Aber es ist doch die Frage, ob es dafür genommen werden sollte. Wahrscheinlich suggerieren die strategischen Plätze Gefahren, vor denen niemand besteht, weil der Andrang eingebildeter Draufgänger von vornherein jede Gefährdung ausschließt. Im Zeitalter des intellektuellen Massentourismus sind die Probleme nicht dazu da, um gelöst, sondern um in zahllosen Ansichten auf den Markt geworfen zu werden. Sie sollen belegen, dass man auch da war und über die beste Ausrüstung der Saison verfügte. Bleibt zu ergänzen, dass der gehobene Problemtourismus einen bewundernswürdigen Überblick über die gastronomischen und sonstigen Annehmlichkeiten der von ihm angesteuerten Ziele wahrt.

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Berichtigungen /5 Entzug. - Man versteht schon, in welche asphaltlosen Gelände eine Kunst sich begibt, die sich zu entziehen trachtet. Andererseits versteht man die Attraktivität der öffentlich ausgestellten Gefahr - unmöglich, ihr nicht zu erliegen, sobald man sie für sich entdeckt hat. Einerseits - andererseits: beide Tendenzen zusammengenommen vermitteln die Erscheinung des Künstlers, der die Bewegungen der Epoche begleitet, ohne sich ihren Verkehrsmitteln anzuvertrauen. Ein Fußgänger, immer zu spät und zu früh zwischen den Ankunftszeiten der a priori Pünktlichen, ausgestattet mit einer Wahrnehmung, die Befremden hervorruft, weil sie die Totale bevorzugt, wenn das Detail gefragt ist, und sich in Einzelheiten verliert, wenn alle zum Aufbruch drängen. Angesichts so vieler in der Wolle gefärbter Individualisten, prächtig anzusehen in ihrem Ornat wie die Könige aus dem Morgenland, überfällt ihn ein Gefühl der Verschwendung von Zeit und Ressourcen zusammen mit einem ungezügelten Verlangen nach Anbetung. Das Kind in der Krippe, es ist auf Stroh gebettet, er sieht es wohl, aber es bleibt das Kind und es bliebe die Krippe. Was also tun?

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Abschied. - Deutlicher als der bemühte Eklektizismus signalisiert ein gewisser durch handwerkliche Gediegenheit betäubter Dilettantismus den Abschied von der Moderne. Einmal als Ausdruck der Zeitenwende begriffen, wird er ganz unvermeidlich. Die Kunst symbolisiert die Suchbewegung, sie ist diese Bewegung, auf die sie zeigt, als habe sie etwas gefunden. Was nicht so falsch ist. Denn was immer man davon halten mag, sie hat ihr Verhältnis zum Kommerz bereinigt, der sich dankbar revanchiert, indem er mit vertreterhafter Begeisterung nicht hinter den Berg hält. Her mit dem hilfreich in Trends abgefüllten hundertfachen Aufguss all dessen, was die müde gewordenen Augen des Jahrhunderts gesehen haben, das ist unsere Welt, ein bisschen flippig, ein bisschen virtuell, ein bisschen schwierig, aber wir nehmen das nicht so genau. Die Kundschaft hat das Sagen. Wo alles schon gesagt wurde (ein Spruch, zu oft gehört, um noch Eindruck zu machen), wacht sie darüber, dass es schön beiläufig klingt und nicht zu dick aufträgt. Auch das lässt sich zeichnen. Fragt sich, wen es anficht.

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