Ulrich Schödlbauer
Wölbings Belustigungen 1 Festland
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Festland.
- Wölbings Beiträge zur Ästhetik des Whoppers
begnügen sich nicht damit, ihn zu porträtieren; sie finden
ihn allenthalben. Dem Metzger gleich, der hinter dem anämischen
Wesen seiner Kundschaft den verderblichen Einfluss von
Tiefkühlkost wittert, sieht er seinen Gestalten den Bissen im
Leibe auf zehn Schritt Entfernung an. Man merkt sofort, dass sie
herumgekommen sind und ganz bei der Sache; zuhause immer gerade da, wo
sie die Zeichnung queren. Nicht dass es ihnen freistünde, auf zwei
Beinen aus dem Bildraum hinaus zu schlendern. Sie sausen vorbei,
Körpergespinste im leeren Raum, der wachsame Kamerablick folgt
ihnen auf dem Fuße. Einige verlieren sich im Rausch der
Geschwindigkeit; es schert sie nicht, dass der Dosenverschluss
linkerhand lässig mithält. Auch zählt nicht das
große Tempo, sondern die Konzentration des Jungen, der Skateboard
fährt und augenblicklich nicht ansprechbar ist - ausgerichtet auf
den Punkt, aus dem die Welt hervorschießt, um schon verschwunden
zu sein, erzeugt er das Vakuum, das ihn verzehrt. /1 |
Landschaften.
- Landschaften, die den Müll intus haben: Traumländer mit
Wolken, Brücken und Stegen durchs nächtliche Gebirg. Der
Betrachter ahnt mehr, als dass er es sähe, das Fadenscheinige
einer vorsichtig neu gefassten, den Vorbehalt mit komponierenden Arte
povera. Überall dringt der Grund durch, kein Zeichengrund, sondern
der Grund der zeichnerischen Vertiefung, die autonome Reprise - autonom
deshalb, weil es gleichgültig ist, welche Bewegung sie wiederholt,
welche Verteilung von Licht und Schatten das rasch ziehende Gewölk
des Erinnerns auf sie herabsenkt. Der Zeichner meidet die
Bloßstellung, dieses bittere Futteral, das wegschließt,
worauf es ankommt. Was er sucht, ist naheliegender und entlegener. Der
Fuß da, die Geste, der gekrümmte Rücken, alles
erinnert, steigt doppelt auf, bietet sich an als lose
Übereinstimmung von ›Gesehenem‹ und
›Überkommenem‹. /2 |
Gestalten.
- Diese undefinierten Gestalten, verflochtene, verknotete, ent- und
verwirrte, in rasender Eile daherkommende oder stationär
verfließende Wesen, die den Bildraum bevölkern, variieren
ein und dasselbe Motiv. Alle tragen die Kreditkarte dort, wo sie
hingehört - über dem Herzen. Sie wirken gelöst, denn sie
wissen, dies ist ihre Welt. Ob sie ihren Geschäften nachgehen oder
sich gerade von ihnen erholen, macht keinen Unterschied. Wenigstens
geht er niemanden etwas an. Sie halten die Augen offen, immer auf dem
Sprung, ein Schnäppchen zu machen. Thermopylae dünkt sie eine
sandige Piste, die Nike von Samothrake ein Gipsei. Der Zeichner sieht
es ihnen nach; seine Wahrnehmung, den Aufbrüchen des Jahrhunderts
verpflichtet, unterscheidet sich von ihrer nur wenig. Dieses Wenige,
die ungewisse Differenz, die ihn von seinen Objekten trennt,
öffnet den graphischen Raum, in den er sie entlässt. Ihre
Cleverness verliert sich an die umgebende Leere, sie kommt als das
zurück, was man die ungetilgte Profanität des Abgrunds nennen
könnte. Die Epiphanie des Undeutlichen, des verwischten, krakelig
hervor tretenden, dann wieder das Phlegma öliger Flächen
äffenden, seiner Bestimmung ledigen Elements setzt jede
erdenkliche Art von Kosten - Nutzen - Rechnung voraus und macht sie
gegenstandslos. Das Amorphe zeigt sich in guter Form. Es wirkt
geschäftig. /3 |
Differenz.
- Die Botschaft der Differenz, hier ist sie angekommen. Was immer sich
dem Betrachter von der Anstrengung mitteilt, die in den Landkarten der
Kunstgeschichte aufgeklappten Wege nachzufahren, es wird aufgewogen
durch die klare und nicht sehr distinkte Einsicht, dass das zu
Erkundende in der Konzentration auf den Weg ersteht und vergeht, beides
in einem Zug. Nicht der Akt entscheidet über das Gelingen, sondern
das Resultat, falls es sich einstellt, ohne den Erwartungen zu
entsprechen. Das Ergebnis einer Bemühung: Was ist das? Etwas, das
sich ergibt. Ein Sieg vielleicht? Wenn ja, dann ein zweideutiger. Der
Grund der Ergebung bleibt ebenso im Unklaren wie das, was aus ihr
folgt. Sehen so Siege aus? Oder doch eher Niederlagen? Eines scheint
sicher: Sollte es Positionen geben, um die - aus Gründen, die
jedem strategisch Denkenden unmittelbar eingehen - gerungen wird,
Positionen, die nur da sind, um eingenommen und verteidigt zu werden,
so finden wir hier Techniken am Werk, welche im Ausweichen die Lust der
Erfahrung vermitteln. Das Umwegige hat seinen Preis. Was es vermeiden
hilft (oder vermeiden soll), sind Gefahren vom Hörensagen. Die
einflüsternde Kraft des Gerüchts ist als negative
Produktivkraft geschäftig. Sie teilt dem Künstler mit, dass
es dort nichts zu holen gibt. Zwar beweist das instinktive Ausweichen
vor Plätzen, an denen sich Zeitgenossenschaft bewährt,
für sich genommen nichts. Aber es ist doch die Frage, ob es
dafür genommen werden sollte. Wahrscheinlich suggerieren die
strategischen Plätze Gefahren, vor denen niemand besteht, weil der
Andrang eingebildeter Draufgänger von vornherein jede
Gefährdung ausschließt. Im Zeitalter des intellektuellen
Massentourismus sind die Probleme nicht dazu da, um gelöst,
sondern um in zahllosen Ansichten auf den Markt geworfen zu werden. Sie
sollen belegen, dass man auch da war und über die beste
Ausrüstung der Saison verfügte. Bleibt zu ergänzen, dass
der gehobene Problemtourismus einen bewundernswürdigen
Überblick über die gastronomischen und sonstigen
Annehmlichkeiten der von ihm angesteuerten Ziele wahrt. /4 |
Entzug.
- Man versteht schon, in welche asphaltlosen Gelände eine Kunst
sich begibt, die sich zu entziehen trachtet. Andererseits versteht man
die Attraktivität der öffentlich ausgestellten Gefahr -
unmöglich, ihr nicht zu erliegen, sobald man sie für sich
entdeckt hat. Einerseits - andererseits: beide Tendenzen
zusammengenommen vermitteln die Erscheinung des Künstlers, der die
Bewegungen der Epoche begleitet, ohne sich ihren Verkehrsmitteln
anzuvertrauen. Ein Fußgänger, immer zu spät und zu
früh zwischen den Ankunftszeiten der a priori Pünktlichen,
ausgestattet mit einer Wahrnehmung, die Befremden hervorruft, weil sie
die Totale bevorzugt, wenn das Detail gefragt ist, und sich in
Einzelheiten verliert, wenn alle zum Aufbruch drängen. Angesichts
so vieler in der Wolle gefärbter Individualisten, prächtig
anzusehen in ihrem Ornat wie die Könige aus dem Morgenland,
überfällt ihn ein Gefühl der Verschwendung von Zeit und
Ressourcen zusammen mit einem ungezügelten Verlangen nach
Anbetung. Das Kind in der Krippe, es ist auf Stroh gebettet, er sieht
es wohl, aber es bleibt das Kind und es bliebe die Krippe. Was also tun? /5 |
Abschied.
- Deutlicher als der bemühte Eklektizismus signalisiert ein
gewisser durch handwerkliche Gediegenheit betäubter Dilettantismus
den Abschied von der Moderne. Einmal als Ausdruck der Zeitenwende
begriffen, wird er ganz unvermeidlich. Die Kunst symbolisiert die
Suchbewegung, sie ist diese Bewegung, auf die sie zeigt, als habe sie
etwas gefunden. Was nicht so falsch ist. Denn was immer man davon
halten mag, sie hat ihr Verhältnis zum Kommerz bereinigt, der sich
dankbar revanchiert, indem er mit vertreterhafter Begeisterung nicht
hinter den Berg hält. Her mit dem hilfreich in Trends
abgefüllten hundertfachen Aufguss all dessen, was die müde
gewordenen Augen des Jahrhunderts gesehen haben, das ist unsere Welt,
ein bisschen flippig, ein bisschen virtuell, ein bisschen schwierig,
aber wir nehmen das nicht so genau. Die Kundschaft hat das Sagen. Wo
alles schon gesagt wurde (ein Spruch, zu oft gehört, um noch
Eindruck zu machen), wacht sie darüber, dass es schön
beiläufig klingt und nicht zu dick aufträgt. Auch das
lässt sich zeichnen. Fragt sich, wen es anficht. /6 |
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