Ulrich Schödlbauer
Wölbings Belustigungen
3
Projekt Köpfe
Das Neue
Ausdrucksminderung


Jürgen Wölbing

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Projekt Köpfe. - In der Hetzjagd nach dem definitiven Projekt - dem entschiedensten, situativsten, spielerischsten - verglüht das unvollendete Projekt der Moderne in dem Dunkel, das die Aussicht auf ein neues Jahrtausend in erregbaren Köpfen verbreitet. Diese Köpfe, immerhin, sitzen auf Schultern, die anecken und anecken lassen und dafür sorgen, dass man durch Türen kommt, die dem bloßen Gedanken gemeinhin verschlossen bleiben. Der Gedanke also hat frei - und Zeit überdies, sich dem Anblick der Köpfe zu widmen, deren Besitzer gewohnt sind, jedes Hindernis zu bezwingen, ausgenommen solche, die sie nicht sehen. So starren sie erstaunt und ein wenig stumpf in das, was man den blinden Spiegel der Kunst nennen könnte, voller Erwartung, dass jemand auf den Auslöser drückt und sie aus ihrer Lage erlöst, die allerdings merkwürdig anmutet. Egal, wie voll sie das Maul zu nehmen und welches Zahnmaterial sie zu blecken bereit sind: jenes Ich sehe das nicht ist ihnen mit unbeweglichen Lettern über die Stirn geschrieben oder ins Kinn versenkt, dessen Grübchen das Quantum Sensibilität verbürgt, ohne das bekanntlich nichts geht. Was soll schon gehen? Eine Handvoll Schauriges, aus geöffneten Massengräbern dazwischen gestreut, ändert die Wahrnehmung aller Gesichtszüge beträchtlich, ohne dass es einer vermittelnden Feder bedarf. Die Physiognomie, die Physiognomie ... ist stets die des Zeitalters, obsessiv.

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Das Neue. - »Nie muss man das Herz so nach Gefühlen durchstöbern wie das Gehirn nach Gedanken. Auch stellt niemand an Gefühle den Anspruch der Neuheit. In ihnen darf man sich wiederholen oder anderen gleichen.« (M. Rumpf) Malerei, gleichermaßen den Gedanken wie den Gefühlen verbunden, soll daher beides sein - originell und identisch. Ob man sie sich sehenden Auges und mit gebundenen Füßen oder stockenden Fußes mit verbundenen Augen vorstellt, es macht keinen Unterschied. Beide Metaphern eint das Ungenügen des Denkens an einer Kunst, die, allen inszenierten Umschwüngen zum Trotz, auf dem Weg der Differenzierung nicht recht vorankommen will, sowie das Missbehagen des Gefühls, das aus den Angestrengtheiten des Mediums die banale Furcht herausspürt, gegenüber der allgemeinen Bewegung zurückzubleiben. Malerei ist, wie jede Kunst, gewöhnlich - weniger in den Niederungen der Unbedarftheit als auf der Höhe ihrer Möglichkeiten. Dem Künstler, der das begreift, bietet sich die Chance der Inversion: das Gegenstück zum Gewöhnlichen ist der Weise. So kommt die Abgeklärtheit ins Bild.

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Berichtigungen /3 Ausdrucksminderung. - Das lebensweltliche Motiv hält der Erkundung fremder Zeichenwelten die Waage. ›Physiognomisch‹ ist eins wie das andere. Alles ist gesehen - auf unbestimmte Distanz. Ausdrucksminderung als ästhetische Pointe. Intentionsminimierung. Ein unbedarftes Gemüt könnte meinen, es sei die Angst vor der Leere, die den Zeichner veranlasst, Blatt um Blatt mit all jenen Figuren zu bedecken, an denen wir sehen lernen, eine Angst, die der Leere zuspielt, was ihr gehört. Das wäre schon etwas, wenn nur ... der Horror vacui nicht ins Arsenal der leeren Drohungen gehörte. Aber wer weiß das so genau? Eine Formulierung zieht die andere nach sich, eine leichte Drehung der Hand entfaltet sie, gibt ihr Raum. Das Denken, ein wenig träge, weigert sich nicht, es geht mit, es geht, es macht sich seinen Reim, spielt sein doppeltes Spiel, kein Gedanke, den nicht sein Hintergedanke begleitete, ein Schatten, stumpf oder hell gegen das Weiß des Zeichengrundes. Dieses Weiß, selbst nicht mehr als eine Metapher der Fülle, in der sich alles Mögliche rekelt, noch unentschlossen, ob es die Vereinzelung wagen soll, ewig unentschlossen, würde es nur gefragt, doch davon kann keine Rede sein, der Entschluss, auch dieser, er käme zu spät, wäre Auslegung, Wurf, erwürfelt, aber nicht von der oder einer anderen Hand, Augen gehen aneinander über, leuchten, leuchten ihr Dunkel zwischen zwei Wimpernschlägen, die zu kurz sind, um in Betracht zu geraten. Unerträglich das eine, unzumutbar das andere, Schlüsselwörter, die unbegrenzt Zugang zu Räumen verschaffen, in denen die Ableger ausgestorbener Sprachen wuchern. Mittendrin der Gärtner, stumm, seinen Beruf ausübend: begehbar machen, was dem Sinn entgeht.

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Nachweise 1 - 3

Abbildungen aus: Jürgen Wölbing, Zeichnungen, Friedrichsdorf (Produktion Eschwege & Wölbing) 1987, J. W., Festland, Friedrichsdorf (Produktion Eschwege & Wölbing) 1988, J. W., Lithographien und Plastiken. Katalog Nr.3, Frankfurt/M. (Draier) 1973, Edgar Allan Poe, Gordon Pym, Frankfurt/M. (Büchergilde Gutenberg) 1980 sowie Privatbesitz.
/1 aus: Festland, Detail
/2 Zeichungen: Frontispiz
/3 aus: Gordon Pym
/4 Pro Zeno (Holzschnitt, 1985)
/5 Springen (1966)
/6 Abschied (1969)
/7 Am 6. 8. 73 (1973)
/8 Striptease (1972)
/9 Flugtraum (1982)
/10 Breitwand (1966)
/11 Nebelaufgang (1980/87)
/12 Dunkle Sonne (1981), Detail
/13 aus: Prospekt Köpfe (1989)
/14 Köpfchen (1971)
/15 Unterschönmattenwag (1973)