Ulrich Schödlbauer
Wölbings Belustigungen 3
Projekt Köpfe
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Projekt Köpfe.
- In der Hetzjagd nach dem definitiven Projekt - dem entschiedensten,
situativsten, spielerischsten - verglüht das unvollendete Projekt
der Moderne in dem Dunkel, das die Aussicht auf ein neues Jahrtausend
in erregbaren Köpfen verbreitet. Diese Köpfe, immerhin,
sitzen auf Schultern, die anecken und anecken lassen und dafür
sorgen, dass man durch Türen kommt, die dem bloßen Gedanken
gemeinhin verschlossen bleiben. Der Gedanke also hat frei - und Zeit
überdies, sich dem Anblick der Köpfe zu widmen, deren
Besitzer gewohnt sind, jedes Hindernis zu bezwingen, ausgenommen
solche, die sie nicht sehen. So starren sie erstaunt und ein wenig
stumpf in das, was man den blinden Spiegel der Kunst nennen
könnte, voller Erwartung, dass jemand auf den Auslöser
drückt und sie aus ihrer Lage erlöst, die allerdings
merkwürdig anmutet. Egal, wie voll sie das Maul zu nehmen und
welches Zahnmaterial sie zu blecken bereit sind: jenes Ich sehe das
nicht ist ihnen mit unbeweglichen Lettern über die Stirn
geschrieben oder ins Kinn versenkt, dessen Grübchen das Quantum
Sensibilität verbürgt, ohne das bekanntlich nichts geht. Was
soll schon gehen? Eine Handvoll Schauriges, aus geöffneten
Massengräbern dazwischen gestreut, ändert die Wahrnehmung
aller Gesichtszüge beträchtlich, ohne dass es einer
vermittelnden Feder bedarf. Die Physiognomie, die Physiognomie ... ist
stets die des Zeitalters, obsessiv. /13 |
Das Neue. - »Nie muss man das Herz so nach Gefühlen durchstöbern
wie das Gehirn nach Gedanken. Auch stellt niemand an Gefühle
den Anspruch der Neuheit. In ihnen darf man sich wiederholen
oder anderen gleichen.« (M. Rumpf) Malerei, gleichermaßen
den Gedanken wie den Gefühlen verbunden, soll daher beides
sein - originell und identisch. Ob man sie sich sehenden Auges
und mit gebundenen Füßen oder stockenden Fußes
mit verbundenen Augen vorstellt, es macht keinen Unterschied.
Beide Metaphern eint das Ungenügen des Denkens an einer
Kunst, die, allen inszenierten Umschwüngen zum Trotz,
auf dem Weg der Differenzierung nicht recht vorankommen will,
sowie das Missbehagen des Gefühls, das aus den Angestrengtheiten
des Mediums die banale Furcht herausspürt, gegenüber
der allgemeinen Bewegung zurückzubleiben. Malerei ist,
wie jede Kunst, gewöhnlich - weniger in den Niederungen
der Unbedarftheit als auf der Höhe ihrer Möglichkeiten.
Dem Künstler, der das begreift, bietet sich die Chance
der Inversion: das Gegenstück zum Gewöhnlichen ist
der Weise. So kommt die Abgeklärtheit ins Bild. /14 |
Ausdrucksminderung. - Das lebensweltliche Motiv hält der Erkundung fremder
Zeichenwelten die Waage. ›Physiognomisch‹ ist
eins wie das andere. Alles ist gesehen - auf unbestimmte Distanz.
Ausdrucksminderung als ästhetische Pointe. Intentionsminimierung.
Ein unbedarftes Gemüt könnte meinen, es sei die
Angst vor der Leere, die den Zeichner veranlasst, Blatt um
Blatt mit all jenen Figuren zu bedecken, an denen wir sehen
lernen, eine Angst, die der Leere zuspielt, was ihr gehört.
Das wäre schon etwas, wenn nur ... der Horror vacui nicht
ins Arsenal der leeren Drohungen gehörte. Aber wer weiß
das so genau? Eine Formulierung zieht die andere nach sich,
eine leichte Drehung der Hand entfaltet sie, gibt ihr Raum.
Das Denken, ein wenig träge, weigert sich nicht, es geht
mit, es geht, es macht sich seinen Reim, spielt sein doppeltes
Spiel, kein Gedanke, den nicht sein Hintergedanke begleitete,
ein Schatten, stumpf oder hell gegen das Weiß des Zeichengrundes.
Dieses Weiß, selbst nicht mehr als eine Metapher der
Fülle, in der sich alles Mögliche rekelt, noch unentschlossen,
ob es die Vereinzelung wagen soll, ewig unentschlossen, würde
es nur gefragt, doch davon kann keine Rede sein, der Entschluss,
auch dieser, er käme zu spät, wäre Auslegung,
Wurf, erwürfelt, aber nicht von der oder einer anderen
Hand, Augen gehen aneinander über, leuchten, leuchten
ihr Dunkel zwischen zwei Wimpernschlägen, die zu kurz
sind, um in Betracht zu geraten. Unerträglich das eine,
unzumutbar das andere, Schlüsselwörter, die unbegrenzt
Zugang zu Räumen verschaffen, in denen die Ableger ausgestorbener
Sprachen wuchern. Mittendrin der Gärtner, stumm, seinen
Beruf ausübend: begehbar machen, was dem Sinn entgeht. /15 |
Nachweise 1 - 3 Abbildungen aus: Jürgen Wölbing, Zeichnungen, Friedrichsdorf (Produktion Eschwege & Wölbing) 1987, J. W., Festland, Friedrichsdorf (Produktion Eschwege & Wölbing) 1988, J. W., Lithographien und Plastiken. Katalog Nr.3, Frankfurt/M. (Draier) 1973, Edgar Allan Poe, Gordon Pym, Frankfurt/M. (Büchergilde Gutenberg) 1980 sowie Privatbesitz. |