<grabbeau>

Paul Ferenczi: Moosbrugger, erblindet

Anfang

Hinausgekrochen vordem, in erdigem Sud. Gaia nah, lechzend ohne Sinn. Seit dem Beginn des Atems die Verdunkelung, stetig wie der Lauf der Sterne. Von früh an Herzwitze gerissen, es gab zu lachen, nicht lächeln, den Nebel, das Halbe, sperrten wir aus. Nebel, kunstvolle Geilheit des Lebendigen! Vordem die Lust am Krückstock, den Wörtern untergehakt wie die Blinden. Untergehakt und -gejubelt auch die Töne, der ferne Klang, so früh übers Feld geschoben, stattdessen die schwätzende Malerei von Spatzen, oder? So waren es Singvögel oder Krähen. Immerhin. Raben waren nicht zur Hand. Ihren Kuss hätte ich geben wollen, ein Schnäbeln hätte es gegeben und ein Füttern und Versorgen, von ihrer Art, der schwarzen verdunkelten, dolchartigen. Nimm – und auf deine Rabenzunge hätte ich meine Rabenzunge gelegt, eine Wickelei eins ums andere begonnen, gespannt die Embryonenmusik, die schöne Fötenutopie, das Gebennehmen und Sterbenwerden. In erdigem Sud. Bin's gewöhnt, auch du sprachst in diese Richtung, wenn auch aus der mir entgegengesetzten. Ein grammatischer Witz, ein Witzchen. O zahme Kunst. Gaia ist groß, ihre Beine umschließen dich leicht und kräftig, sie können's nicht anders.

Hervorgekrochen also, hinaus, in erdigem Sud, bald schon waren die zwei verduftet, die Hosen gut geschnürt, ihr lüsternes Gepäck verstaut zu neuen Wanderungen. Alter Wunsch, von Liebe verschont zu sein. Selige Öde auf sonniger Höh'! Hübsch, eine ganze Zeit lang, ich muss schon sagen. Aber dann, in der eigenen Ferne, mochte ich die Davoser Trompeten nicht, das Gezerre um die Zeit, das pädophile Spielchen von Kindchen Chronos. Ludewig! Gutes Wort, übles Wort, klingt. La musica è semplice. Wenn man will, ich aber will nicht und konnte nicht, Marina, Frucht der Liebelosigkeit. Also ab in die Distanz, also hinab-hinauf, stets der eigenen vita nova hinterher, dann begreifend: es gibt kein hinterher, sondern nur den Irrtum über die Zeit. Ihre Folge. Novum, Nova, Novalis, usw., guter Witz, leider wahr soviel ich weiß.

Mein Messer indessen ist gut und blank gewetzt, von edlen Stoffen, wie man unter Schneidern sagt. Alles beste Qualität, gewissermaßen im Fass gereift, erlaube den Spaß. Ein Nebenmesser habe ich auch. Gute Waffen, gute Waffen, komm' lieber Mai. Aber – wir zielen auf kein Wild, wir zielen auf die Sterne. Wurzel dieses Übels. Die Wörterjonglage zieht einen Gedanken herbei, da ist er und er soll bleiben. Das macht so seine poetische Hülle, mit Schleifchen sagt man: wenn er doch bliebe. Ich aber wie gesagt will das Blanke, den Blitz, das Licht. Das Denken des Denkens. Das aber ist Tod statt Vollzug und Vollbringen. Es geht vorüber.

So gehe Zeit! Zeit! dass du mich nicht geboren hättest! dass du nicht in mir hingst und dich verkralltest in das Geweide, nicht zum Kopfdarm machtest, zur Blase ohne Ausweg, wo kein Ort für dich gewesen war. Okkupantin der Geburt, Zeit! Indem du erst wurdest, in mir, täuschst du mich ohne Unterlass. Wurdest du, oder drangst du ein? Drangst du ein, weil ich schon eingerichtet war, winkend und mit der Fahne auf den Einlass deutend? Komm' lieber Mai, und mache, dass Zeit verlösche: Geh' unter, schöner Mai.

Dein Blick des Schreckens aufblitzend in meinem Auge, höhlten wir uns aus im Licht. Deine blaue Hand griff in mein Hirn und schliff das Messer, das du meinem Blick unterstellst, als käme er aus mir. Handwerk des Blitzes! Messer oder Dolch, kommt's darauf an? Wo Finger sind, wird gegriffen; kletten sie an einer Hand, dauert's nicht lange bis die Faust wühlt. So wühle. So greife. Und denke, es sei der Blick, der dies von dir fordere, wenn du es musst. Hauptsache, du lässt mir die Pinien, die östlichen Fichten, unter denen soll es sich gut gehen, und einen Vorhang, den man hinter sich zuschlagen lässt, haben sie auch. So komm' nun, FEUER, sei der Teppich der Erde! Gelbgrau, Summe tödlicher Farben, nicht anders verkleide dich. Das Wasser der Donau – es bleibe im Haus, es genüge der fahle Luftkrebs über dieser Textur. Umschlossen die Hügel, sengend die Augen, ein Stich, speergleich geworfen. Komm', FEUER. Aber du kommst nur, wenn ich es will.

Therapeutischer Boden des Denkens, auch hier. Die undurchdringliche Verwechslung von Wollen und Können: sie fressen einander auf, in jedem Fall, fragt sich, wem es zuletzt schmeckt. Die Freude am eigenen Tun, gleich wie sie sich verkleidet: vom kräftigen Juchhe bis zur geschäftigen Negation, bleibt unberührt. Sie ist, wenn ich so sagen darf, der gaudeske Grund des Lebens, unumgehbar zwar, doch vereitelbar. Leicht ist es, den therapeutischen Boden zu leugnen, denn auch das hat das Gaudeske gemacht. Wer glaubt, mit Gründen zu leugnen, täuscht sich und sitzt am fremden Tisch. Nichts richtet das Bewusstsein aus, hier nicht. Jedoch Vorsicht vor All-Quantoren! diese Warnung aus der Gasse sollte man bedenken. Wie sie spricht, der Faselhans, mit Zukunftsworten vollgesogene Zunge, Zukunftsplaque voll Widerspruch. Es gibt immer... Logisch – ist die Zeit.

Und wie emporgekehrt zu. . . . Aber in Drei geschnitten, in Hirn und eins und zwei. . . . Und so hinab zu den Grundwörtern, sie sollen hören können, wenn wir auf sie pfeifen. Ade, Hokuspokus der Tiefe, Gesäusel des Grunds, usurpierter Sonnenfleck. Also Sonnenfleken? Dafür hast du Zeit? Dummes Getupfe, fahler Grind steht dir besser, uneben außen und innen, einerlei. Schöner ist es, sich um die Bläue zu bewerben, wenn man auf dem Metalldach steht. Hab's so gelesen, hab's so verstanden. Kein Aufheben bitte um Inselwörter! Die sind einfach, was sonst sollen sie sein? Nichts auch dahinter, sondern eben in ihnen geht der Gedanke. So oder so, tapptapp. Manchmal auch steigt er in großer Linie, tour de pensée, das ist schon besser. Oder tour de l'idée, aber das ist etwas anderes, das befiehlt schon die grammatische Figur, wie man sieht. Im übrigen geht ohnehin jeder nach Hause, wann er will. Wozu also Straßenpoesie? Am Ende sieht man doch nur Sterne. Gewitzt der, der geschäftig das Obst von den Wagen klaubt. Restobst. Aber nimm's nur mit, man kann alles brauchen. Sagt die Gasse, die umtriebige.

Dann wieder, in dämmriger Luft, schwebst du im leichten Winkel der Erde entgegen, doch wie entzündest du sie, denkst du, frage ich? Keine Erfahrung schuf dir den Sinn des Schwefels, und wo zu reiben er wäre, lerntest du nicht. Holla! Ein Dings, beinahe. Herausgeplumpst oder hineingesteckt, so also unterbrichst du mich. Wer hier spricht, blanchiert sich.

Doch weiter schwebst du unbeirrt hinab auf den erdigen Sud. Ich erzähle dir nichts, eine Erzählung hätte einen anderen Rhythmus. Was macht das Erzählen? Die Striche, die Lettern, das Steigen und Fallen? Sekundär... quintär! Wer schreibt, setzt Pflöcke. Wer erzählt, schleppt den Zaun. Die Poesie? Gräbt sich unten durch. Dich freilich interessiert das kaum, du Feuermaul. Quatschst in die Leere, und begeisterst dich am bloßen Flug. Wie geht's denn so, hinab meine ich? Schon gelandet? Von der Ferne gleichst du einem Fleck und man muss schon Zeit und Lust spüren, um dir über die Hügel weg auf den Grund gehen zu wollen. Dich in Augenschein zu nehmen. Und schrei' nicht so. Werd' sehen, wo ich Feuer auftreiben kann.

Seither auch weitergestolpert, über die modrige Kume, gratweis' erschöpft, wie denn sonst. Wie denn sonst – abkürzende Wendung für ein Päckchen Ungeschriebenes, ähnlich den einfachen Zeichen. Man weist drauf hin, mehr nicht, dass da etwas sei. Dafür, dafür brauche ich das Messer. Dahin, dahin soll ich's stecken. Wenig habe ich gelesen, doch schnell war's zuviel. Und genügte. Das Un- zu bald gelernt. Ansonsten bin ich Schreiner, ich sag's für die Tauben. Eine plumpe Form des Auswegs, heute weiß ich das. Nichts als das Geschick der Hände fehlte mir noch, und was mir Ort und Tätigkeit des Vergessens sein sollte, es brachte die Vollendung, ungewollt.

Du aber, Schöne, kamst mit der Sichel und entwendetest mein Glück. Deine grünen Blätter fielen mir gleich ins Aug', den Tau von fremden Nächten sog ich, ich sog. Du brachtest das Wasser, das Feuchte, ich stieb Dir mit Rost entgegen, der sich über die Klingen legte. Ich zerfiel. Nun liegt der Herbst auf dem Moos.

Wie anders aber und blattgrün legten wir die Eisen aneinander, und im ruhigen Schaben vergaßen wir sie. Emporgeschoben, aneinandergelehnt mit verdrehten Rücken und Blicken im Gesäusel, im Wind, legten wir Blatt auf Blatt, die Augen wie Wurzeln suchten die Erde, vergessend den Sud. Den Sud. Ihn leugnend vernichteten wir ihn. Langsam wuchs der Fehler heran, ein Männchen mit Klinge, mit Stahl und Absichten. Eine Fliege, schoben wir ihn der Natur unter, der notwendigen Gewalt. Das Moralische lockte uns zu Pfiffen, und dies war recht. Wem je die Augen wuchsen, versteht sie nicht, die goldorangenen Staudämme des Glücks. Es kommt auf sie nicht an, nicht mehr als auf die tiefe Öde, der sie die Flut entziehen. Wasser ist alles, Wasser nährte dich, Wasser ist Denken.

Und wie Wasser springt die Eichkatz! Ich sah es, ich glaube es. In einfachen Quartetten wollt' ich's besingen, doch der Sommer war nicht danach. Untergejubelt war der Erde der Zeitdung, blind trieb er den Wuchs hinauf in die Augen und das Hirn, wilder floß es in Schleusen, die in grobem Tun seit Jahren die Säule, das röhrige Selbst, dehnten. Es verwelkte das Moos und die Klinge, in melancholischer Güte, strich über's Auge und löschte es, dass es verhärtete zum starren Papier. Kein Wort mehr wird es locken, kein Wörtchen redet es mit, entfärbt und trocken steht es auf Stäben, auf Spießen hingestellt dem traurigen Blick. Noch einmal denn: komm', FEUER, und nimm auch dies, ergreife es. An diesem weißen Auge entzünde dich – so sollte es gehen. Alles, was ist, endet.

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