Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [65]

Machtfragen


Es liegt eben so, daß die Malerei nicht imstande ist, den Gegenstand einer simultanen Kollektivrezeption darzubieten, wie es von jeher für die Architektur, wie es einst für das Epos zutraf, wie es heute für den Film zutrifft.
Walter Benjamin

Das Schwerste steht immer bevor – die Lösung der Kunst aus den im voraus schal gewordenen Oppositionen, in denen sie die Gedankenlosigkeit und das Repräsentationsbedürfnis der aktiven Zeitgenossen gefangen halten. Man könnte Mersmann in die Linie der deutschen Malerei der Moderne von Klinger über Klee und Beckmann bis zu Immendorf und den Neorealisten einreihen, die ihm nichts bedeuten. Aber soviel man auf diesem Wege auch zeigen könnte, man hätte das Beste bereits vergeben: eine Bestimmung, die anzeigt, dass hier etwas geleistet wurde und noch immer geleistet wird, das sich nicht im Hinsehen und Gesehenwerden erschöpft, dass hier eine Erfahrung gegen das ihr eingezogene, sie deformierende und niederhaltende Geflecht von Urteilen rebelliert, die so umfassend genannt zu werden verdient, dass in Bezug auf sie alles erneut zur Sprache gebracht werden muss, was durch die Entwicklung selbst, durch das schiere unaufhaltsame Gewordensein der Gegenwart in eine kommunikative Form gebracht wurde, die man, nicht ohne Grund, den herrschenden Diskurs nennt. Dabei geht es weniger um konkrete Herrschaft als um osmotische Prozesse, mit deren Hilfe sich Gesellschaft formiert und festigt und jene ebenso schreckliche wie lächerliche Institution hervorbringt, die man Meinungsführerschaft nennt. Dass Künstler sich an ihr reiben, dass sie an ihr auch zu Grunde gehen können, geschieht mit derselben Zwangsläufigkeit, mit der im Verkehr an maximal geregelten Kreuzungspunkten die auffälligsten Unfälle entstehen. Die reputationshungrige Gesellschaft braucht, besonders an ihren neuralgischen Punkten, Urteile, auf die Verlass ist, und nimmt lieber ein auffälliges Maß an Blindheit in Kauf, wenn sie sich damit ihre geltenden Maßstäbe erkauft.