Ulrich Schödlbauer: Homomaris oder die Geburt der Bilder [58]

Feuersäule und Januskopf


Andererseits bin ich natürlich froh, dass keine wirklichen Menschen in meine Bilder gepresst worden sind - übrigens ein Punkt der noch nicht geschriebenen »Theologie der Kunst«, der sich an den 576 Stühlen der höheren Gerechtigkeit sehen lassen könnte. [...] Die deutschen Künstler sollten sich schämen, so wenig darüber sagen zu können. Sie sind bei Hitler stehen geblieben.
Paul Mersmann

Die Figur als facies hippocratica der Kunst, als der nicht wegzubekommende moribunde Zug dort, »wo der graue Fortgang seine Quellen hat und der letzte Buchstabe des Alphabets mit dem letzten aller Papierstücke in ratloser Umnachtung zurückbleibt«, widersteht dem Konstruktivismus, sie wiedersteht ihm mit derselben Unbedingtheit und Undurchdringlichkeit, die ihn selbst auszeichnet. Sie erlaubt es der Kunst, gegen die Feste der reinen Form und gegen die Verwechslung von Stil und Leben zu polemisieren. Sie erlaubt es ihr, doch mit demselben oder mehr Recht müsste es heißen: sie erlegt es ihr auf. Daher kann die Figur zwar jederzeit verlassen, aber nicht endgültig aufgegeben werden. Nennen wir sie in ihrer sprachlosen Persistenz einen Gedanken: man darf sich fragen, worin er besteht und auf welche Weise er diesseits der Kunst ausgedrückt werden könnte. Wer von der Komödie des Werdens und Vergehens, vom Kreislauf der Zerstörung, vom Trümmerfeld der Geschichte spricht, mag dies illusionslos meinen, aber er wird nicht verhindern, dass man seine Mitteilung als Ausdruck einer Erwartung, einer Erwartungshaltung versteht, die aus ihr nicht wegzubekommen ist. Diese Erwartung geht dahin, dass auch das Vergehen vergeht. Ob einer wünscht, es möge vergehen, ob er diesen Wunsch artikuliert, ob er sich irgendeine Erfüllung des Wunsches vorstellen, ob er ihn begrifflich ›entfalten‹ kann, bleibt sekundär gegenüber dem Zuwarten selbst, das überall dort residiert, wo sich Bewusstsein regt.