Grabbeau3

antonin paget
Von Grab_art reden heißt von der Kunst reden. Die Photographie, so sagt man, ist eine dokumentarische Kunst. Sie lässt sehen, damit jedermann weiß und gesehen hat. Sie greift ein. Das Grauen der Schlachtfelder, das Entsetzliche eines  Massakers ist nicht mehr dasselbe, einmal im Bild festgehalten und allen zugänglich gemacht - allen zu jeder Zeit. Die Photographie, so folgert man, lehrte den Menschen neu sehen, das bestimmt ihre Möglichkeiten.
 
Sie zeigt ihn als bewegte Figur vor seinen Sonnenauf- und -untergängen, sie zeigt ihn bei der Arbeit, in seinen intimen Verrichtungen, als Objekt der Lust und der Grausamkeit, als Gegenstand ethnologischer Neugier. An diesen Begleiter haben sich alle gewöhnt, er ist lästig, wenn er zum Voyeur wird oder die Kreise der Mächtigen stört, er hilft dem Gedächtnis auf und stört seine Kreise, wenn es dem Vergessen zuneigt. er ist aus unserem Leben nicht wegzudenken. Diese Beschreibung hat einen Nachteil. Was das Medium kann und was es bewirkt, ist nicht auf die Funktionen zu beschränken, in denen es von der Gesellschaft absorbiert wurde. Was die Photographie ist und leistet, lässt sich nirgendwo ablesen als an den Bildern selbst. Das schnelle Verständigtsein über Ziele und Aufgaben hat diesem wie anderen Medien viel geschadet. Aber es hat seine Entwicklung nicht aufhalten können.  Die technischen Merkmale der heutigen Photographie lassen sich, wenn man sie als Kunst versteht, auch anders deuten denn als willige Helfer im Erfassen und Dokumentieren von Unheil und Gier. Sie weisen in eine Richtung, die einmal als Hyperrealismus bezeichnet wurde, ohne dass so recht deutlich wurde, um welche Wirklichkeit es einem solchen ›Realismus‹ gehen könnte. Die zweite Wirklichkeit ist die erste noch einmal, nur anders. Heute, im digitalen Zeitalter, erkennt man, dass die Summe der leisen Veränderungen, die eine Aufnahme gegenüber der physiologisch korrekten Wahrnehmung vornimmt, an sich weder hinter ihr zurückbleibt noch in Bereiche der Wirklichkeitserfassung vorstößt, die dem ›unbewaffneten Auge‹ nicht zugänglich wären. Eher stellt sie, um bei der Metapher zu bleiben, eine Art Entwaffnung dar. Darüber muss man nachdenken. Was das Auge sieht, ist auf vielerlei Weise gerichtet und zugerichtet, es ist auf Aufgaben trainiert, die es zu bewältigen gilt. Es ist Teil einer biologischen Einheit. Eine Aufnahme hingegen besitzt keine Funktion außer der, die man ihr zuweist. Sie ist vorhanden, unabhängig von Zweck und Funktion, man kann sie einsetzen, wie es beliebt. Man kann sie sogar ansehen. Auch das ist beliebig. Wie einer auf sie blickt, bleibt ihm überlassen.Grab_art ist eine Weise, im dokumentarischen Medium den nicht-dokumentarischen Raum zu öffnen. Die Welt wird nicht abgetastet, um ihre - unappetitlichen oder gierig umlagerten - Geheimnisse zu lüften, zu lösen oder zu ›knacken‹. Die Bilder dienen nicht als Beleg, sie verweisen auf keine Fakten, sie dokumentieren nichts. Die einzige Instanz, der sie  auf eine paradoxe Weise dienen, ist - was sonst? - der Einfall.Sie lassen sich Gegenstände einfallen, soll heißen, sie geben sie so, wie sie unverhofft in die Wahrnehmung fallen könnten. Fast wäre man versucht zu sagen: wie sie sich fallen ließen, wenn man sie ließe. Und so zu reden wäre nicht einmal verkehrt. Das Wirkliche fällt uns nicht nur an, es fällt uns zuallererst ein. Diese Art Photographie macht das sichtbar, nach der Formel, die wohl für alle Kunst gilt: ergreifen, was ergreift.
GRAB_ART
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