Grabbeau2

antonin paget
Ein Fahrradsattel, aufrecht gestellt, seiner Funktionen ledig, steht vor diesem schweigsamen Weiß, das zu sagen hätte, aber verschweigt. Nicht das Sagen ist hier gemeint - auch nicht das Verschweigen -, sondern das Gegriffene, der Sattel, der so, auf diesem ihm bereiteten Grund, aus der allgemeinen Wahrnehmung heraus- (wie man, eher missverständlich, sagt) und plötzlich auffällt, obwohl an ihm nichts Auffälliges zu sehen ist. 

Das auffällig-Finden des als-auffällig-Markierten ist eine der Zugangsweisen zum Ästhetischen. Das Kunstwerk ist auf der Dringlichkeitsskala notiert, sein beredtes Schweigen wurde bemerkt, aber ikonifiziert: es steht für. Das Gegriffene wird, man weiß es, zum Zeichen. Wörter wie ›Erscheinung‹, ›Epiphanie‹ deuten den Vorgang an. Man begreift ihre Komik, bedenkt man das in ihnen mühsam sich selbst bekämpfende Pathos. Ein alter Sattel, eine verrostete Forke vor einer weißen Fläche sind keine Offenbarungen, sie tragen auch keine heilsgeschichtliche Kunde. Wir haben sie nur gleich erkannt. Sie sind gegriffen, soll heißen, an ihnen ertasten wir die umgebende Welt, sie sind, nur unendlich komplexer und subtiler, so etwas wie die geometrischen Figuren, die der Kubismus einst aus jeder künstlerischen Form herauslesen wollte und die er ihr doch erst gewaltsam einpflanzen musste. Sie zeigen auf die dingliche Welt, als wollten sie sagen: Was wir hier in äußerst penibler Reinheit darstellen, ist uns dort zur Hand, sobald wir es wünschen. Wir können es roh oder gleichgültig oder eilig benützen, aber wir können nicht verhindern, dass unsere Hand, unser Auge momentweise darauf ruht und es uns genau in dem Maße Welt vermittelt, in dem wir nicht darauf verzichten können, weil wir sonst nichts in der Hand hätten. Zwei, drei Lavabrocken, aufeinander gestellt, ergeben ein Steinmännchen - was sagt uns das? Es sagt, dass hier etwas hergestellt wurde, das in diese Welt zurückwirkt, sie umwirkt, so dass sie nun handhabbar, gestalt- und begehbar geworden ist. Die Kunst ist eine Art Bann, der uns für eine kurze Zeit an diese Schwelle fesselt und den Übergang spürbar macht. Die Zeit der Kunst ist die Zeit der Technik, ihre Zeitlosigkeit ist die der gegenständlichen Welt. Deshalb erweckt sie diesen seltsamen Eindruck der Unverrückbarkeit, als wolle sie sagen: Diese Gegenstände mögen vergehen oder schon vergangen sein, dieses Blatt mag beschmutzt und zerrissen oder sogar verbrannt werden, aber es ficht die - sagen wir: geschärfte - Wahrnehmung, die es ermöglicht, nicht an.Halten wir uns an die Wahrnehmung. Wenn es gelingt, sie im Abflauen der Aufmerksamkeit auf das zu schärfen, was im Alltag gerade ansteht, dann bedeutet es ja, dass Unschärfe und Schärfe hier eine Verbindung eingehen, die nicht vom jeweils im Vordergrund stehenden Zweck bestimmt wird, sondern vom Bedürfnis, mehr in die Hand zu bekommen als das Nächste und Übernächste. In seinen Wünschen ist jeder frei.Wer diese Bilder betrachtet, will ja nichts, was er nicht auch bekommt, er will es allenfalls für sich durchdringen, ein wenig transparenter, ein wenig vermittelter mit seiner Weise, die Dinge zu sehen, weil er instinktiv davon ausgeht, dass das Ergebnis dieser seiner Weise zugute kommt, und dieser Wunsch geht ja von den Bildern selbst aus, wie im Märchen: man möchte besser ›hineinkommen‹, wie man sagt.
 
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