ANGST (1)

Wer seine Angst bekämpfen will, tut gut daran, sie zu kennen. Woran erkenne ich meine Angst? Woran erkenne ich, daß es meine ist? Die Frage ist nicht so ungeschickt, wie sie sich stellt, denn, unter uns, der Glaube, jede Angst, die nach mir greift, sei schon deshalb die meine und es sei meine Aufgabe, ihr auf den Grund zu gehen, ist ein Irrglaube. Die meisten Ängste scheren sich nicht um mich und meine Verfassung, es sind lächerliche Geschenke der Mitwelt, sie treiben vorbei wie andere Anmutungen auch. Ihnen nachgehen hieße: sich verlieren. Die eigenen Ängste – das macht die Unterscheidung schwierig – sind nicht notwendig die stärksten, sie halten sich öfter (und länger) im Hintergrund auf, sie wollen gesucht und gefunden werden: erste Lektion.
Woran also...? Es gibt kein anderes Mittel, sie zu entdecken, als die Gefahr. Wie trivial! Das ist die zweite Lektion: Angst ist kein intellektuelles Problem. Gleichgültig, was die Theologen sagen, es gibt keine Angst, deren Quelle sich nicht mit Leichtigkeit ausfindig machen und die sich nicht mit einfachen Mitteln bekämpfen ließe. Über das Phänomen Angst nachdenken heißt weder, sie zu empfinden, noch, sie zu überwinden. Angst bekämpft man mechanisch: durch Umstellung der Ernährung, durch Bewegung, Musik, Drogen, vor allem aber dadurch, daß man es ausfindig macht und tut – jenes Einfache, das durch die Angst vernebelt und unsichtbar gemacht oder zum Schreckgespenst aufgetrieben sich gegen einen kehrt.
Aber (darüber schweigen sich die Ratgeber natürlich aus): gleichgültig, wie erfolgreich man seine Ängste bekämpft – oder mit ihnen umgeht, wie es die Therapeuten feinsinnig nennen –, wie jeder Umgang bleibt auch dieser nicht ohne Folgen. Damit meine ich nicht die Wirkungen, die es auf andere hat, wenn ich mich mit ihnen in der Öffentlichkeit sehen lasse. Hier handelt ohnehin jeder auf eigene Gefahr. Ängste sind sensibel, manche verkümmern aus Mangel an Beachtung. Wer aber auf sie eingeht, den lieben sie; spricht es sich erst herum, so reisen sie von weither an, um sich vor seinen Augen niederzulassen und ihm bei jeder Gelegenheit zuzuzwinkern: Nimm mich! Sei bewußt! Solchen Sirenengesängen widersteht man nicht mit Wachs in den Ohren, sondern mit einem Glas in der Hand: Nichts da! Ist aber die Herausforderung da, so wisse: eine krumme Hüfte ist das mindeste, was du davonträgst, und du darfst dir nicht einmal sicher sein, daß sie ein Zeichen ist.



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