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Michael Heisch
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Ich
will diesen Sack vermöbeln |
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Immer
mehr Schreiber und Kreative treibt es in die Box-Gyms. Sie entdecken
beim Kämpfen ihr Herz und die Gemeinsamkeiten zum Journalismus. |
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Es
gibt diese eine ergreifende Szene im Film «Muhammed Ali The Greatest»
(William Klein, Frankreich, 1974). Ali wird von einem mexikanischen Fan
um ein Autogramm gebeten. «Wie schreibt man Mexiko», fragt der beste
Boxer aller Zeiten. Worauf der Fan etwas schüchtern zu buchstabieren
beginnt. Egal, er müsse mit seinen Fäusten ja nicht schreiben können,
bemerkt der Champ etwas selbstversunken.
Schreiben und Boxen,
das passt nicht. Geistige Kinnhaken mit spitzer Feder: ja, doch. Das
ist Journalisten-Alltag. Aber die Fäuste einhüllen in Handschuhen, um
einen Sandsack zu verprügeln oder – schlimmer noch – einen
Sparring-Partner zu schlagen, um nicht selbst k.o. zu gehen? Einer, der
verbal und im Box-Gym austeilen kann, ist Matthias Mächler. Seit Jahren
besucht er die Turnhalle des Box Clubs Zürich und hält sich hier zwei
Mal wöchentlich mit Schlägen fit. Mächler, mehrfach ausgezeichneter
Schreiber und ehemaliger Redaktor bei «Annabelle» und «Schweizer
Familie», sieht mehr Parallelen zwischen den fliegenden Fäusten und
seinem Job, als es auf den ersten Blick scheint: «Boxen ist
Kommunikation. Wahrscheinlich eine der ehrlichsten und archaischsten
Formen von Kommunikation überhaupt.» Und es ist eine Ausdrucksform, die
er liebt. «Es gibt Regeln, es gibt Fäuste, es gibt den direkten Kampf.
Boxen ist aber auch Taktik, geistige Wachsamkeit, Empathie, Reaktion.»
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Geschichtenerzähler
Das
alles fasziniert auch andere. Der Boxsport ist derzeit so populär wie
noch nie, auch unter Journalisten und Kreativen. Das zweifelhafte Image
von Westernschlägerei und Rotlicht-Milieu ist längst passé und dient
allenfalls noch als geeigneter Filmstoff im «Tatort»-Stil. Inzwischen
verfolgen Tausende von TV-Zuschauern unterschiedlicher Herkunft und
(Berufs-)Bildung die regelmässig ausgestrahlten Titelkämpfe. Ausdauer,
Beharrlichkeit, das oft zitierte Kämpferherz – um nur ein paar wenige
Stichworte zu nennen – zeichnen den Boxsport idealerweise aus.
Vielleicht gerade deshalb sind viele davon so angetan.
Die
unterschiedliche Herkunft der Hobby-Boxer fällt auch Irene Wrabel (Head
of PR bei den Musqueteers) während des neunzigminütigen Trainings auf:
«Als ich neu im Box Club Zürich war, war ich angenehm überrascht, wer
hier alles Mitglied ist. Ich habe bald bemerkt, dass viele in den so
genannten Kreativberufen tätig sind», sagt die quirlige Münchnerin mit
der ungebremsten Energie. «In unseren sehr kopflastigen, bewegungsarmen
Jobs braucht man einen Ausgleich, der Körper will gefordert sein.»
Muskel und Köpfchen – das ist die Kombination in den Trainingsräumen an
der Zentralstrasse 105, die viele Schreiber und Schreiberinnen reizt
(der Frauenanteil ist beachtlich hoch). Zudem ist Boxen für viele
Kreative eine Form des Lifestyle. «Seien wir ehrlich», sagt Matthias
Mächler, «ein guter Journalist sagt nicht, ‹ich gehe in den Turnverein›
– wenn schon: ‹morgen geh’ ich wieder boxen, um einen Sack zu
vermöbeln›. Und sollte jemand nachfragen, kann er immer noch
präzisieren, dass er einen Sandsack meint.» Faszinierend sind für
Mächler zudem die dramatischen und dramaturgischen Parallelen: Wir
Journalisten sind Geschichtenerzähler. Oft malen wir eine Szene ein
bisschen aus, damit sie besser wirkt. Dasselbe passiert uns auch im
Boxtraining. Wir werden Teil eines Filmes, einer Atmosphäre, eines
Hemingway-Stücks.
Seiner Trainingspartnerin Irene Wrabel gefällt
zudem die Haltung der Boxer und Boxerinnen. «Fairness ist ein wichtiger
Wert, was eigentlich auch im Journalismus zentral sein sollte. Ich lebe
diesen Wert gegenüber all meinen Ansprechspartnern.» |
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Stilfibel
Journalisten
und PR-Leute kämpfen ausserhalb des Rings mit vielem, vom Zeitdruck bis
zu sperrigen Themen und Gesprächspartnern. Manch einem Journalisten
fehlt zwischendurch schlicht die Chuzpe, mit kniffligen Fragen auf
seinen Interviewpartner zu dreschen, um ihm mit einem gezielten
Leberhaken das Wesentliche zu entlocken. Sich zu überwinden und an sich
selbst zu glauben, dies könnte man dem Boxsport gelegentlich
abgewinnen. Selbstverständlich genauso das Einstecken können. Sind
Journalisten nicht in der Regel Schreibtisch-Mimosen?
Auch in
der Literatur – wenn man so will, die veredelte Form des Journalismus –
sind die Parallelen Thema: der deutsche Nachkriegsschriftsteller Wolf
Wondratschek hat den Zusammenhang zwischen Faust und Feder eindringlich
thematisiert. Über Ernest Hemingway brachte er «Im Wendekreis des Solar
Plexus» zu Papier: «Er schrieb wie gute Boxer boxen: ohne überflüssige
Schnörkel, knapp, hart, präzise, konzentriert, die kurzen Sätze gezielt
wie eine heraus gestochene Linke.» Dem gibt es nichts mehr hinzu zu
fügen, das schickt jede Stilfibel unvermittelt auf die Bretter.
Literatur,
die sich mit dem Boxen beschäftigt, gibt es zuhauf. Der
Literaturwissenschaftler und Journalist Manfred Luckas hat darüber
seine Dissertation geschrieben: «Solange du stehen kannst, wirst du
kämpfen - Die Mythen des Boxens und ihre literarische Inszenierung»
(2001). Laut seinen Angaben gibt es rund 150 Romane und Erzählungen,
die sich mit dem Faustkampf beschäftigen. Berühmter Stoff wie Budd
Schulbergs «Schmutziger Lorbeer» oder Leon Gardners «Fat City» findet
sich darunter. Ebenso theoretische Annäherungen an den Boxsport: Joyce
Carol Oates’ Essay «Über Boxen» etwa oder Djuna Barnes’ «Meine
Schwestern und ich bei einem Preisboxkampf». Und natürlich immer wieder
Brecht. Der Chefintellektuelle liess bekanntlich als begeisterter
Zuschauer keinen Boxkampf aus. Er hinterliess einen nie vollendeten
Boxerroman, verfasste Manifeste über «Sport und geistiges Schaffen» und
legte mit «Der Kinnhaken» eine Boxerzählung vor. Vermutlich war Brecht
nicht einmal an der boxerischen Arbeit und an den schöpferischen
Tätigkeiten interessiert. Wahrscheinlich ging es ihm mehr um
soziologische Betrachtungen. Wohl auch um die Selbstinszenierung als
cooler Bursche. Steigt man wöchentlich in den Box-Keller, um als
besonders cool zu gelten? « «Wir Journalisten wären gerne echte Helden,
haben aber nicht den Mumm dazu» scherzt Matthias Mächler.
Champion
Überlassen
wir die Schlussrunde nochmals dem Schwergewichts-Champion auf
Lebzeiten. In Leon Gasts Dokumentarfilm «When We Were Kings» über Alis
Kampf gegen George Foreman in Kinshasa gibt es eine besonders
beeindruckende Szene. Der Literaturwissenschaftler George Plimpton
berichtet, wie Ali vor 2 000 Harvard-Studenten einen Vortrag hielt.
«Give us a poem», fordert ein Student, worauf Ali ein Impromptu-Gedicht
deklamiert, vielleicht das kürzeste in englischer Sprache überhaupt:
«Adam / had’em». Er überlegt einen Moment und fährt darauf fort: «Me /
We». Das erfüllt alle Kriterien eines Gedichts, präzise gesetzt wie ein
hart platzierter Upper Cut. Respect The Champ!
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über Michael
Heisch ı
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Text: © 2008 Michael Heisch Die Abbildungen basieren auf Aufnahmen von André Roth und Kathrin Ritz
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