Doris*, damals...

Von Marion Wolff


Guten Tag. Angenehm, Schneiderreidt, Hubert. Nehmen Sie doch Platz, bitte sehr. Was wollten Sie wissen? Wie das damals war, mit Doris. Moment, gestatten Sie, ich schließe nur rasch die Tür. Meine Frau, Sie verstehen? Natürlich weiß sie Bescheid, zumindest ein bisschen. Aber sie ist immer so empfindlich. Zigarette? Nein, auch gut. Erlauben Sie, dass ich rauche? Danke.




Wo waren wir stehen geblieben. Ach ja, Doris! Das ist lange her. Sie war sechzehn damals und ich schon Student. Ich glaube, wir waren beide sehr, sehr einsam. Auch wenn Doris sich immer gern ins Getümmel stürzte, vielleicht gerade deshalb. Ja sie hatte schon was. Mit ihren dichten schwarzen Haaren und den bebenden Nasenflügeln im hellen Gesicht. Wie Porzellan die Haut und dazu weich wie Seide. Besonders da, wo wir so gerne hinfassen. Wie soll ein Mann da nicht schwach werden. Und alles frei Haus. Sie hat sich mir ja förmlich aufgedrängt. Hätte ich wirklich „nein“ sagen sollen? Hätten Sie an meiner Stelle „nein“ gesagt? Sehen Sie.










*Doris ist „das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun





Natürlich habe ich es genossen, dass sie mich begehrte. Dass sie immer und zu jeder Zeit bereit war. Obwohl, manchmal hätte ich gern mehr geredet. Das war schon schade, dass sie so gar keine höhere Bildung hatte. Dabei hab ich mir viel Mühe gegeben, ihr die Physik zu erklären. Was es damit so auf sich hat. Hab ihr sogar mal was geschenkt. Einen Frosch aus Zelluloid. Aber ich glaube, das mit der Verdrängung, der Oberflächenspannung und diesen ganzen Phänomenen, das hat sie gar nicht wirklich interessiert. Obwohl sie immer so getan hat, als höre sie genau zu. Aber den Frosch - um den Hals hat sie sich das Ding gehängt, ganz so als ob’s ein Collier gewesen wäre. Hat es getragen wie eine vornehme Dame ihre Südsee-Perlen. Einen Frosch aus unverdaulicher Zellulose! Verstehen Sie mich nicht falsch. Das klingt sicher unwahrscheinlich anmaßend, aber sie war halt ein einfaches Mädel.





Wie meinen Sie? Vor den Kopf gestoßen? Ja, was sollte ich denn machen? Was, glauben Sie, hätten meine Eltern zu so einer gesagt? Lebt schon als Sechzehnjährige unverheiratet mit einem Mann zusammen. Das wäre doch nie gut gegangen. Kannten Sie ihre Eltern? Ich bitte Sie! Die Tochter einer Garderobenfrau und eines prügelnden Säufers. Ich bin Akademiker, ich habe eine Reputation. Da muss die Liebe halt gelegentlich auf der Strecke bleiben. Glauben Sie wirklich, das wäre mir leicht gefallen?



Später hab ich sie dann noch einmal gesehen. Wann? Nein, nach unserer Trennung. Da hat sie mir übrigens tüchtig eine verpasst. Als ich ihr sagte, dass das nichts werden kann mit uns. Vor allen Leuten hat sie mir eine runter gehauen. Sie hatte schon irgendwie Mumm, der war so schnell nichts peinlich. Das muss man ihr lassen. Respekt. Also, dann hab ich sie noch mal gesehen. Zufällig. Wie? Ja, ja viel später. Ob sie mich allerdings erkannt hat, das weiß ich nicht. Es war in einem Tanzlokal. Da rutschte sie eng umschlungen mit so einem Lackaffen übers Parkett. Der hatte ein Automobil, hatte ich gehört.






Und dann war sie ja beim Theater, da soll sie irgendwas mit dem Direktor gehabt haben. Moment mal, war das vor dem Lackaffen oder danach? So ganz krieg ich das nicht mehr hin. Doch, jetzt erinnere ich mich. Ich war schon eine ganze Weile weg von ihr, in München, Karriere machen. Aber irgendwie hab ich sie nicht vergessen können. Und dann hab ich sie auf der Arbeit angerufen. Stimmt, da war sie dann schon nicht mehr, behauptete ihre Kollegin, wie hieß die noch gleich, ja genau, die Therese, spätes Mädchen, hm.


Also, wir haben uns dann getroffen, nach dem Theater. Habe der Begegnung so entgegengefiebert. Zwei Tage und zwei Nächte nicht schlafen, nicht essen können, keinen klaren Gedanken fassen. Und dann steht sie vor mir, im eleganten Pelz, sehr kleidsam. Es musste ihr gut gehen. Dann war also doch was dran an dieser Liaison mit dem Theaterdirektor. Und die ganzen Verehrer. Da hat es mich gepackt. Wollte sie auf die Probe stellen. Ob sie mich auch will, wenn ich nichts habe. Ob sie mich mit durchziehen würde. Sie hat sich abgewandt, gerade so, als ob sie sich ekele. Plötzlich war mir klar. Die kannste kaufen. Gut, dass sie den Kloß in meinem Hals nicht spüren konnte. Sie hat ja gar nicht mehr richtig hingesehen. Gott sei Dank, sonst hätte sie am Ende noch die Tränen in meinen Augen entdeckt.


Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich möchte allein sein.


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