Grabbeau1

antonin paget
›Grab_art‹ nennen wir das Ergreifen dessen, was auf jede erdenkliche Weise das Wirkliche heißt und gerade darum nur ergriffen werden kann, so wie es selbst an einem Morgen ergreift, den man im Gedächtnis behalten wird. So jedenfalls stellt sich dieser Morgen dar und ist verschwunden, sobald der Mittag naht, der andere Genüsse und Seltsamkeiten  bereithält.


Das Ergriffenwerden und das Ergreifen hängen miteinander zusammen, aber sie gehen nicht auseinander hervor. Erst der Entschluss ist es, der den Auslöser der Kamera betätigt oder die Gelegenheit ergreift. Diesen Entschluss zum Ausgangspunkt einer langen Geduld zu machen, das wäre wohl die Kunst des Wirklichen, die es nicht gibt, jedenfalls nicht so, wie sie sich der eine oder andere vorstellt. Wir sind Menschen, wir sehen Formen, wir sehen sie in das hinein, was wir das Wirkliche nennen, und sie befähigen uns, uns ihrer zu ›bemächtigen‹. Die Sprache der Geometrie ist eine wirkliche Sprache, die von den Weltdingen redet, wiewohl stumm. Es ist eine schweigsame Welt, eine Welt vor der Welt, die sich da auftut. Die Sprache der Kunst hingegen ist immer redend. Das schließt die Fotografie ein, die mit der Geometrie manches gemeinsam hat und in mancherlei Weise ihr Kind ist und bleibt. Aber auch die Kunst, die den Apparat verschmäht, verdankt der Geometrie vieles, wie der beispiellose Aufstieg der Perspektive einst zeigte, den die Moderne mit Schmähungen überzog, auch wenn sie sich ihrer Errungenschaften unter der Hand, ›im stillen‹ weiter bediente. Eine Rose ist eine Rose, mit Gertrude Stein gesprochen, ein Stein ist ein Stein, eine Immergleichheit. Auch dies wäre eine Form - eine ins Gegenständige hineingesehene Form, die man ihm, will man sie sinnfällig vor Augen führen, wieder entreißen muss. Oder entlocken: der stille fotografische Lockruf, der an die Objekte ergeht, bewegt hier das Meiste. Was dieses Meiste sei, findet sich auf den Bildern, in der ›Isoliertheit‹ der Gegenstände, in der Art, wie sie in den Blick entlassen werden, der sie umfängt. Man kann es eine Weise der Existenz nennen, die von der Natur nicht vorgesehen wurde und dort mit dem wechselnden Sonnenstrahl kommt und verschwindet. Es ist das Dinghafte, das an unserer eigenen Existenz haftet und das in solchen Bildern offenkundig wird.Kundig geworden, wissen wir Bescheid. Die Kunst sagt uns Bescheid und sind wir einmal verständigt, so bleibt das, was sie sagt, zusammen mit dem Wie dieses Sagens ›bedeutsam‹ - ein schönes Wort, das den stillen Vorgang des Bedeutens in eine abwärts weisende Geste verwandelt und alles, was in ihm angelegt ist, samengleich aufgehen lässt.
Man ist rasch geneigt, beiseite zu werfen, womit man sich nicht befassen möchte. Später, zu spät kommt man darauf zurück. Das Gedächtnis ist ein unvollkommener Behälter der verworfenen Welt. Es enthält sie, aber sie bleibt verwunschen. Der nicht gestillte Wunsch hat sie verschlossen und versiegelt. Die Kunst bricht die Siegel. Sie schafft den Austausch von Innen und Außen, den die Seele braucht, um zu atmen.
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