Grabbeau
Anne Corvey
 Pino Marittimo


 Zeichnungen
Lucius Garganelli
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Pino /1


Jäher Morgen Dämmerung
verweilt, verfrüht gereift aus überwacher Nacht,
im unverwegten Geäst.
Noch irrt der Mond
in der strengen Spur der Zweige,
zittert silbenhell
vor Begier, sie auszuleuchten.
Sacht streift ein Wind das harrende Gefieder.

Alles überragend streckt er
die hohen fast leeren Arme wissend
in einen sich wandelnden Himmel.
Früher, so sagt man — vierhundert Jahre
sollen seitdem vergangen sein —, früher
waren die Zweige dicht belaubt, mit Vögeln bevölkert.
Die Rede zieht von Ohr zu Ohr,
kein Auge hat sie vernommen.
Pino /2 Tritt aus der Zuflucht der Wimpern und schau.
Vernimm die Sprache des Lichts,
der alles verwandelnden Kraft, die redend den Baum
mit wechselndem Schimmer bereitet.
Am Morgen scheint Schnee auf den Zweigen.
Gebilde aus Kühle und Traum.
Frühling, Sommer, Herbst. Zu Stunden
verzaubert den Tag das Licht der Zeiten.

Am Abend endlich, in dem gedrängten Moment
des Übergangs zwischen den Welten,
beginnt dein Baum von innen zu leuchten.
Glutrot steigts aus dem furchigen Stamm.
Glutrot erstrahlt die schmächtige Krone.
Brennender Dornbusch, Geheimnis des Lichts
gesammelt in jeder Pore
wovon nur die Rede geht, leuchtend zu künden.
Pino /3
Erstdruck: Zeno 2001

© Text Anne Corvey
© Grafik Lucius Garganelli